In den Kirchenbüchern der Stadt Wittenberg ist im Jahre 1814 für den 24. März die Geburt einer Christina Elisabeth Knape eingetragen.
Die Eintragungen für die Eltern lauten:
„Frau Maria Dorothea, geb. Schulzin, weyl. Christian Knapens, Koßätens in Labetz, hinterlassene Wittwe.“
„Der Vater dieses Kindes ward während Wittenbergs Belagerung mehrere Wochen vor der Geburt desselben auf Befehl des hiesigen franz. Gouverneurs erschossen, weil er in den Verdacht, einen Preußischen Spion abgegeben zu haben, gekommen war.“
Nach der Völkerschlacht bei Leipzig (16.-19. Okt. 1813) begann die Belagerung der Stadt Wittenberg durch die Preußen von Neuem. Sie hofften, die Stadt mit Hilfe der in ihr als Kriegsgefangene liegenden preußischen Soldaten unter Mithilfe der Bevölkerung schnell in die Hand zu bekommen.
Das Vorhaben scheiterte aber ehe es begonnen hatte, durch Verrat. Vor dem Rathaus wurden Kanonen aufgestellt, um die darin untergebrachten Gefangenen einzuschüchtern.
Da dem Gouverneur Lapoype das Risiko trotzdem sehr hoch erschien, die Versorgungslage in der engen Festungsstadt außerdem katastrophal war, ließ er die Gefangenen über die Elbe abschieben, wo sie von den Preußen freudig in Empfang genommen wurden.
Die unter französischer Fahne stehende Besatzung der Festung setzte sich bei weitem nicht nur aus Franzosen zusammen.
Dies war ein weiterer Unsicherheitsfaktor, denn die Zahl der Deserteure war groß.
Am 28. November liefen 41 Holländer ins preußische Lager über. Die Befürchtung, dass die Stadt durch Verrat fallen könnte, war also nicht grundlos. Es wurde deshalb den nicht französischen Soldaten freigestellt, die Stadt zu verlassen. 60 Mann meldeten sich und konnten am 5. Dezember ihren Abschied nehmen.
Besonders hart war die Zeit für die Bevölkerung.
Die andauernden Beschießungen, der Lebensmittelmangel und die Kälte forderten ihre Opfer.
Hinzu kamen die fortwährenden Drangsalierungen durch die Besatzung. Krankheiten und Seuchen taten das ihrige.
Viele Bewohner verließen Hab und Gut und kehrten der Stadt den Rücken.
Am 5. Dezember wurde von den Franzosen ein Bauer Knape aus Labetz festgenommen.
Er hatte die Belagerung für sich zu einem Geschäft gemacht und Briefe und Nachrichten in die eingeschlossene Stadt geschleust und auch hinausbefördert.
Da er immer Lebensmittel mitbrachte, war er bei den Posten gern gesehen.
Seiner Sache sicher, überbrachte er einem Leutnant Ritter einen Brief, in dem dieser von einem übergelaufenen Hauptmann Stock zum Desertieren aufgefordert wurde.
Als Knape sich die Antwort abholen wollte, ließ ihn Ritter festnehmen.
Vor ein Kriegsgericht gestellt, wird er trotz widersprüchlicher Aussagen der Spionage für schuldig gesprochen.
Am 7. Dezember wurde Knape um 11 Uhr auf den Elbwiesen vor dem Elbtor erschossen und an Ort und Stelle verscharrt.
Zuvor hatte man ihn so betrunken gemacht, dass er nicht mehr laufen konnte und von zwei Mann geführt werden musste.
Ein Pfarrer im Hauptquartier des preußischen Generals v. Dobschütz in Nudersdorf schrieb:
„Unser alter Spion, der Bauer Knape, ist richtig erschossen worden. Er war früher französischer Spion gewesen, stellte sich so oder war es wirklich noch jetzt, diente uns aber treu und ehrlich.
Von uns konnte er dem Feinde sagen, was er wollte; denn wir dürfen ihn nicht fürchten; und dass er ihm Butter, Hasen oder andere Lebensmitel für schweres Geld verkaufte, wussten wir.“
Günter Göricke †
Quellen:
Prof. Dr. Bernhardt „Wittenberg vor fünfzig Jahren“ Wittenberg 1863 Dr. X. A. Köhler „1813/14. Tagebuchblätter eines Feldgeistlichen“, Berlin 1912
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aus: Freiheit vom Juli 1980