Schneller als die Eilstafette

Jährlich tritt die Elbe links und rechts über die Ufer und führt das Schmelzwasser seines Quellgebietes und seiner Nebenflüsse ab. Während sich bei normalem Wasserstand 300 bis 500 m3 Wasser in der Sekunde elbabwärts ergießen, erhöht sich die Abflussmenge bei Hochwasser – im Durchschnitt auf 2 000 m3 in der Sekunde. Innerhalb weniger Tage verschwinden Buhnen und Deckwerke, fruchtbare Wiesen werden überflutet.
Dämme und sonstige Schutzbauten sorgen jedoch dafür, dass die Ortschaften unmittelbar am Elblauf nicht vom Wasser überrascht werden. Es ist jedoch nicht auszuschließen, dass die Elbe aus allerlei Gründen mehr Wasser führt als normal und Hochwasserkatastrophen von nicht vorstellbarem Ausmaß auftreten.
Erste Hinweise auf diese Ereignisse liegen seit 962 vor und haben sich im Durchschnitt alle 50 Jahre wiederholt.
Besondere Ausmaße nahm das Hochwasser im März 1432 an, als die Abflussmenge ca. 5 000 m3 Wasser in der Sekunde betrug.
Das Wasser stand in Wittenberg fast bis an den Wittenberger Marktplatz. Eine Kugel, die die Höhe des Wasserstandes angibt, finden wir noch an einer Hauswand in der Elbstraße unserer Stadt.
Alles bisher Dagewesene übertraf allerdings das Hochwasser von 1845 in unserem Kreisgebiet, eine Katastrophe von unbeschreiblichem Ausmaß.
5 600 m3 Wasser in der Sekunde führte die Elbe.
18 Ortschaften, darunter Wartenburg, Globig, Melzwig, Dabrun, Rackith, Eutzsch, Kemberg, Seegrehna und Selbitz standen unter Wasser.
Eine Chronik des Ortes Wartenburg (herausgegeben 1913) schätzt diese Hochwasserkatastrophe entsprechend ein:
„Das Hochwasser mit seinen Nöten hat damals allgemeinste Teilnahme erweckt, aber es wird leichter vergessen werden als die Schlacht von Wartenburg- 1813, obwohl der wirtschaftliche Schaden, den das Wasser verursacht hat, vielleicht größer und länger spürbar gewesen ist, als die Verluste im Kriegsjahre 1813.“
In Böhmen, speziell in Usti und Decin, stieg der Wasserspiegel innerhalb kürzester Zeit um 10,35 m.
In Hrensko (Grenzübergang zur CSSR Schmilka) lief das Wasser durch die Fenster der 1. Etage eines Gasthauses.
Bei der Betrachtung dieser Hochwasserkatastrophen muss unbedingt auf die damaligen technischen Möglichkeiten der Nachrichtenübertragung hingewiesen werden.
An Telefon oder Fernschreiber war bei weitem nicht zu denken. Radio gab es ebenfalls noch nicht.
Eine Eil-Stafette von Torgau bis Wittenberg dauerte zwölf Stunden, obwohl sie mit einem reitenden Boten befördert wurde.
War also langsamer als die Flutwelle. Die Bevölkerung wurde meist nichts ahnend vom Wasser überrascht.
Unsere jetzigen Dämme sind nach dem Hochwasser vom 5. Februar 1862 ausgelegt, bei dem ein Wasserstand von 6,28 m am Wittenberger Pegel registriert wurde, der auch seitdem nie wieder erreicht wurde.
In jüngster Vergangenheit wurde es 1920 kritisch, als bei einem Wasserstand von 6,14 m das Wasser bis zur Elsterstraße reichte und das ehemalige Schützenhaus (unser Bild) nur mit einem Handkahn erreicht werden konnte.
1940 war besonders die Gemeinde Gallin durch einen Deichbruch des Zahna-Baches in Mitleidenschaft gezogen.
Besondere Warnsysteme geben die Voraussetzung, dass sich jeder Interessierte entsprechend der Notwendigkeit auf den Wasserstand der Elbe einstellen kann.
Zweimal täglich erfolgt durch Radio DDR die Durchsage der Wasserstände und deren Veränderungen der zurückliegenden 24 Stunden.
Neue Forschungsergebnisse der TU Dresden, gestatten sogar elektronisch Hochwasserprognosen 90 Stunden im Voraus zu geben. Dabei werden alle Zuflüsse der Eibe bis Dresden einbezogen.

Anfangs war es das Gasthaus „Goldene Gans“.
Dann wurde es „Zum Kronprinz“ und nach dem I. Weltkrieg zum „Schützenhaus“.
Zwischenzeitlich gehörte es der Aktienbrauerei Wittenberg-Rothemark. In der Zeit der DDR wurde es zum Kulturhaus „Hermann Kürschner“.
Nach der Wende (1990) fungierte das Gebäude als QUELLE-Filiale und 2011 wurde es angerissen.

Karl Jüngel †

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aus: Freiheit vom Juni 1980