Die Entwicklung kraftstoffgetriebener Schiffe zwang auch, in Kleinwittenberg eine Tankstelle für Schiffe einzurichten.
Für die Bekohlung der Dampfschiffe bestand ja schon immer die Möglichkeit, den Brennstoffvorrat zu ergänzen.
Bedeutung erlangte Kleinwittenberg als Bunkerstation für die Dampfer allerdings erst nach dem II. Weltkrieg, da die gewohnte Steinkohle nicht mehr in den erforderlichen Mengen zur Verfügung stand.
Vorher konnte ein Dampfschiff die Strecke Magdeburg-Dresden ohne Zwischenbunkerung zurücklegen, die nun verwendeten Braunkohlenbriketts mit entsprechend niedrigerem Heizwert zwangen zur Zwischenbunkerung in Kleinwittenberg.
Der stündliche Kohlenverbrauch eines Dampfers bei der Bergfahrt betrug bei der Verwendung von Steinkohle immerhin 500 kg. für eine Reise von Hamburg bis Dresden waren das etwa 6,5 t.
Durch die harte Arbeit waren besonders die Heizer animiert, den Kohlenstaub in den Schifferkneipen runterzuspülen.
Öffnungszeiten der Gaststätten, wie heute üblich und gesetzlich vorgeschrieben, versuchte man einzuhalten, aber es soll Tage gegeben haben, da kam der Wirt des „Goldenen Anker“ in Kleinwittenberg nicht zur Nachtruhe.
Kam früh ein Schleppzug, wurde nur auf ein Bier geöffnet, aber an der Baumgartenecke (ehemals Wiesenhof) qualmte schon bald der nächste heran.
Wie jeder größere Schifferort hatte auch Kleinwittenberg seine Schiffervereine.
Als erster wurde 1875 der Verein „Viktoria“ durch die Schiffseigner und Kapitäne gegründet. Die jungen Schiffer nahmen sich das Sprichwort
„Nicht immer am besten erfahren ist, der am ältesten an Jahren ist“
zu Herzen und gründeten am 2. Januar 1900 den Verein „Vorwärts“. Hier waren neben Steuerleuten, Bootsleuten auch einige Fischer und Gastwirte Mitglied.
Der Standesunterschied wurde somit schon in der Zugehörigkeit zum Verein hervorgehoben.
Elster hatte einen Schifferverein mit dem wohlklingenden Namen „Harmonie“.
Diese Vereine trugen dazu bei, dass die Verbundenheit zwischen den Berufsgenossen und zum Heimatort nicht verlorenging. Darüber hinaus vertrat man durchaus auch soziale Interessen, wie Berufsversicherung, Unterstützung bei Krankheit oder Unterstützung im Sterbefall.
Nicht fehlen durfte bei jeder Versammlung oder Festumzug die reichlich bestickte Vereinsfahne. Sie wurde auch jährlich dementsprechend hoch versichert.
Allein die Fahnenstange war schon nicht zu ersetzen, denn bei besonderen Anlässen (Stiftungsfest oder Fahnenweihe) überbrachten ca. 20 Brudervereine elbauf- und -abwärts besonders wertvolle Fahnennägel zum Andenken.
Zu jedem richtigen Schifferort gehörte auch eine „Börse“.
In anderen Orten wurde sie auch „Lügenbank“ genannt.
Hier kamen die alten Fahrensleute zu Wort und klönten (zu deutsch: sie erzählten sich etwas) über vergangene Zeiten.
Speziell sonntags gab es den Schifferstammtisch im „Goldenen Anker“ oder „Zum Goldenen Schiff“.
Da ging es besonders im Winter recht gemütlich zu, oft zum Leidwesen der Ehefrauen.
Was ist nun von diesem Kleinwittenberg geblieben?
Die Technisierung des Schiffsparks hat die jetzige Bedeutungslosigkeit Kleinwittenbergs für die Schifffahrt begünstigt. Spezielle Schiffergaststätten und Verkaufsstellen gibt es nicht mehr, nicht zuletzt hat auch die außer Betrieb genommene Umschlaganlage einen Einfluss darauf.
Von den einstigen 104 Schifffahrttreibenden ist noch ein Schiffsführer geblieben, und er selbst ist auch schon im Rentenalter. Trotzdem wird die stromtechnisch günstige Anlegestelle Kleinwittenbergs zur Übernachtung oder zum Einkauf weiterhin gern genutzt.
Karl Jüngel †
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aus: Freiheit vom Mai 1980