Der Schiffbau in Wittenberg

Der Aufschwung des Handels im 19. Jahrhundert auf der Elbe erforderte zwangsläufig auch die entsprechende Kapazität zur Herstellung der Transportmittel.
So verwundert es nicht, dass in fast jedem größeren Dorf entlang des Elbstroms eine Kahnbauanstalt oder Schiffbauerei nachweisbar ist.
Auf diesen Schiffbauereien wurden Fahrzeuge bis 500 Tonnen Tragfähigkeit gebaut. Die wichtigsten Baustoffe waren Holz (Fichte Kiefer und Eiche), Eisen, Dichtwerg, Pech und Teer.
Spezielle Werkzeuge der Holzschiffbauer waren das Speileisen, um das möglichst langfaserige Dichtwerg zwischen die Bodenplanken zu drücken. Verdichtet wurde dieses Dichtwerg mit den verschiedensten Dichteisen und einem Dichthammer, der des guten Klanges wegen immer aus Pflaumenbaumholz hergestellt war.
Beim Abschluss eines Bauvertrages orientierte man sich fast ausschließlich an einem Modell, das der künftige Schiffseigner nach seinen eigenen Wünschen maßstabsgerecht gebastelt hatte.
In Wittenberg befand sich zunächst die Schiffbauerei Schütze an der jetzigen Hafeneinfahrt unmittelbar vor der ehemaligen Gaststätte „Zum Elbhafen“.
Hier wurde u. a. ein Holzkahn mit einer englischen Dampfmaschine und seitlichen Schaufelrädern versehen bzw. umgerüstet und nahm dann als Dampfer „Ewald“ die Fahrt auf.
Durch den erforderlichen Hafenausbau 1875 musste der Betrieb dann in den Piesteritzer Streng verlegt werden, wo auch die ersten „eisernen“ Kähne gebaut wurden.
Allein im Jahre 1908 wurden mehrere Kähne mit 1100 t und einige Kanalkähne von ca. 600 t Tragfähigkeit gebaut.
Der letzte Neubau in Piesteritz (1915) war der Kahn für einen Kleinwittenberger Schiffseigner, der mit 1250 t Tragfähigkeit zu den allergrößten und modernsten Schiffen auf der Elbe zählte.
Die Auswirkungen des I. Weltkrieges zwangen letztendlich zur Auflösung der Schiffswerft von Ernst Schütze.
Die gesamte. Belegschaft (25 bis 30 Mann) machte sich dann beim Aufbau des Stickstoffwerkes verdient.
An die einstige Schiffswerft erinnert heute nur noch das Werkstattgebäude (ehemaliges Bootshaus am Streng) und der Schiffbauerweg in Piesteritz.
Erwähnenswert ist auch die Bootsbauerei in Kleinwittenberg von Erwin Hille, der ohne besondere Ausbildung Spezialarbeiten an Schiffen vornahm und besondere Begabung bei der Ausführung der hölzernen Steuer bewies.
Bis etwa 1970 wies noch die Beschriftung am Grundstück „An der Elbe 4“ in Kleinwittenberg auf die Segel-, Planen- und Zelte-Fabrik von Gustav Hammann hin. Hier wurden Segel, Leckpersennigen, Persennigen für Floßbuden, Flaggen und Taue ausschließlich in Handarbeit angefertigt.
Der Meister Hammann hatte bis zum II. Weltkrieg ca. 10 Frauen beschäftigt, deren Arbeiten mit den Schiffen der Roßlauer Schiffswerft sogar bis nach Übersee geliefert wurden.
Nebenbei wurden noch Zelte für Schausteller und Karusselldächer angefertigt.
Ein Adressbuch der Stadt Wittenberg aus dem Jahr 1914 weist auch auf die Fa. Thomas und Co. — Schmiede Schlosserei und Installationsgeschäft — Wilhelmstraße 18 (jetzt Robert-Koch-Straße) hin.
Diese Firma stellte dann in der Dessauer Straße (heute Str. d. Neuerer) hervorragende Bockwinden her, die wegen des neuartigen und patentierten Bremssystems lange auf unserer Elbe als Ankerwinde bevorzugt wurden.
Aus diesem Betrieb ist der VEB Montan in Wittenberg-West hervorgegangen.
Die Abteilung Schiffswinden wechselte allerdings in den fünfziger Jahren zur Dresdener Straße, wo bis 1970 der VEB Windenbau Wittenberg moderne Decksmaschinen, speziell für unsere Seeschiffe, herstellte.

Karl Jüngel †

aus: Freiheit vom März 1980