Mit der „Juchtel“ über die Elbe

Auch Fähren (als spezieller Schifffahrtsbetrieb) haben in und um Wittenberg Tradition.
Bereits Anfang des 16. Jahrhunderts ist der Fährenbetrieb in Bleddin und Iserbegka im Erbbuch von 1513 erwähnt.
Fähren spielten eine wichtige Rolle bei der Abwicklung des Handels. Genutzt wurden Fähren allgemein für Personen, Wagen, Vieh und Güterverkehr.
Selbst Trajektfähren, die ganze Eisenbahnwaggons von einem Ufer zum anderen übersetzten, gab es an der Elbe.
Für unseren Teil der Elbe waren die Seil- und Kettenfähren, aus denen sich die Gierfähren entwickelten, und die Kahnfähren (freifahrende Fähren) von Bedeutung.
Bei den Kettenfähren war eine Kette quer über den Strom gespannt und an speziellen Laufrollen hing das Fährschiff.
Unter Zuhilfenahme der Strömung wurde bei entsprechender Ruderlage oder Schrägstellung des Fährschiffes das gewünschte Ufer erreicht.
Eine derartige Kettenfähre bestand in Elster bis 1873. Sie mußte dann mit Einführung der Kettenschifffahrt in eine fliegende Fähre (Gierfähre) umgewandelt werden.
Die damalige Elbschifffahrtsgesellschaft „Kette“, in deren Besitz die Konzession zum Betrieb der Kettenschifffahrt auf der Oberelbe war, zahlte hierfür an die Gemeinde Elster eine Entschädigung von 6000 Mark. Solche Gierfähren gibt es noch heute in Pretzsch, Elster, Gallin und Coswig, bis 1977 auch noch in Klöden.
Oft gehörte zum Fährbetrieb eine Gastwirtschaft und der Fährmann war auch meist Wirt des zugehörigen Fährhauses (typische Beispiele: Prettin, Pretzsch und Coswig).
Neben der Lösung verkehrstechnischer Probleme wurden diese Gierfähren auch zur Bewirtschaftung der am anderen Ufer liegenden landwirtschaftlichen Nutzflächen und zum Viehaustrieb benötigt.
Kahnfähren gab es auf unserer Elbstrecke drei, wovon die oberste, die sogenannte „Alte Weiber Fähre“ schon lange nicht mehr besteht, die Verbindung zwischen Bleddin und Schützberg gewährleistete. Sie war auch die Grenze zwischen den Fangrevieren der Fischer aus Pretzsch und Kleinwittenberg.
Auf die Wittenberger Fähre, die noch bis 1954 betrieben wurde, weist ein Heimatkundebuch des Jahres 1902 folgendermaßen hin

„… an der Schäferschen und Wetzigschen Maschinenfabrik (jetzt VEB Maschinen-und Mühlenbau) vorüber gelangen wir zum ehemaligen Gasthof „Stadt Dresden“, dem gegenüber sich die Fähre (Kahnfähre) zur Überfahrt nach dem Probsteiwalde befindet.“

Der letzte Fährmann dieser Fähre (Juchtel genannt) war ein vielbeschäftigter Mann, denn neben seiner hauptamtlichen Tätigkeit besserte er in seiner Fährhütte durch Verkauf von Bier und Spirituosen die Einnahmen auf und half auch gelegentlich auf dem Friedhof.
Größte Bedeutung hat die Kleinwittenberger Fähre wohl nach 1945 erreicht, als durch „Stoppeln“ in der fruchtbaren Elbaue die Ernährung für so manche Familie gesichert werden musste.
Der Inhaber einer Fähranstalt (meist die Gemeinden) war dafür verantwortlich,
„dass das Fährpersonal durchaus tüchtig, den anzuwendenden verschiedenen Fährmethoden vollkommen kundig, dabei nüchtern und zuverlässig ist.“
Diese Zuverlässigkeit wurde dem Fährmann Friedrich Saeger aus Kleinwittenberg 1876 durch den Gemeindevorsteher, durch den Bezirks-Inspektor der Ketten „Schleppschifffahrt“ der Oberelbe und durch einen Schiffseigner bestätigt und dass er in jeder Weise schifffahrtskundig sei, auch „dass er zur Zufriedenheit der Schiffer die Elbbrücke hierselbst verbonert (gekennzeichnet) hat“.
Zu den Aufgaben eines Fährmeisters gehörte auch, die Übergangsstelle bei zugefrorener Eisdecke zu warten, wozu er diese durch übergießen mit Wasser verstärken und die Grenzen der Fahrbahn deutlich kennzeichnen musste.
„Bei eintretendem Tauwetter hatte er das Publikum durch Aufstellung von Warnungszeichen mit der Gefahr bekanntzumachen“.
Fährmann sein war oft nicht einfach, denn nicht immer war Sonnenschein.
Die motorgetriebenen Fähren wurden erst um 1930 eingeführt, bis dahin war es Angelegenheit des Fährmanns, durch Staaken oder Rudern das Übersetzen vorzunehmen, es sei, es blies ein kräftiger Segelwind.
Die Kahnfähren sind schon längere Zeit eingestellt worden, auch die Zahl der Gierfähren wird sich im Kreis Wittenberg weiter verringern, da mit der Bildung großerKooperationsgemeinschaften die landwirtschaftlichen Nutzflächen neu und von Fähren unabhängig aufgeteilt wurden.
Der Gierfährbetrieb wird aber zur Lösung von verkehrstechnischen Problemen in Elster, Pretzsch und Coswig noch lange zum Landschaftsbild unseres Kreises gehören.

Karl Jüngel †

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aus: Freiheit vom März 1980

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