
Auf unserer Elbe wurde nicht nur reger Handel getrieben oder ihre Wasserkraft zum Antrieb von Schiffsmühlen genutzt, sondern sie hatte auch durch den reichhaltigen Fischbestand an der Versorgung der Wittenberger Bürger einen nicht geringen Anteil.
Bis vor 20 Jahren wurde noch gewerbsmäßig unser Fluss von einem privaten Fischermeister befischt.
War auch die Zahl dieser Handwerker (Handwerk, da bis gegen 1930 das Knüpfen der Netze selbst vorgenommen wurde) nach 1945 im Gegensatz zu früher stark dezimiert, so wurden bis Mitte der 50er Jahre sogar noch Lehrlinge ausgebildet.
Die Fischerei hat in Wittenberg sehr große Tradition, denn bereits 1428 wurde die Fischerinnung gegründet, und sie ist somit eines der ältesten Gewerbe unserer Stadt.
Die Fischer waren nicht direkt an der Elbe angesiedelt, sondern sie lebten in niedrigen kleinen Häusern in der Schlossvorstadt, wo sich jetzt das Haus der Jungen Pioniere und die Gebäude der Energieversorgung befinden.
Die Elbe und damit ihre Fischgründe erreichten sie über den Fischerey-Graben, der in den Püster-Streng (Piesteritz) und dann in die Elbe floss.
Der Fischerey-Graben wiederum wurde von dem Rischen-Bach und der Kuh-Lache gespeist.
Das Domizil der Fischer wurde als Amtsfischerei bezeichnet.
Neben den regelmäßigen Abgaben an die Stadt waren die Fischer noch zu allerlei Diensten verpflichtet.
So gehörte es zu ihren Aufgaben, den Platz vor dem Schloss, einschließlich der Schlossstraße, im Winter von Eis und Schnee zu säubern.
Zur Sicherung der Versorgung mussten sie auch den Bach vor der Schlossmühle stets eisfrei halten und bei militärischen Übungen und Kriegen selbst die Kanonen auf die Wälle befördern.
Auch gehörte die Sicherung der Holz-Elbbrücke und ihren Eisabweisern zu den auferlegten Pflichten.
Da aber die gerade erst neugebaute Elbbrücke um 1500 dem Eisgang zum Opfer zu fallen drohte und diese durch den selbstlosen Einsatz der Fischer gerettet wurde, erhielten sie von Kurfürst Friedrich dem Weisen das Privileg, 27 km der Elbstrecke (von Klöden bis zur preußisch anhaltinischen Grenze zwischen Apollensdorf und Griebo) ohne Abgaben zu befischen.
Aus Existenzgründen war die maximale Anzahl der Fischermeister schon im 16. Jahrhundert auf 24 begrenzt, später waren es nur noch zwölf.
Als aber 1806 der Braumeister Thiele aus Bleesern mit zwei Bediensteten beim Überqueren der Elbe, bei starkem Eisgang und starker Strömung, von sechs Wittenberger Fischern vor dem Ertrinken gerettet wurde, spendete Kurfürst Friedrich August von Sachsen der Fischerinnung einen 7½ Pfund schweren silbernen Pokal und 10 Taler.
Die Gravur erinnerte mit den Worten

„Zum Andenken einer rühmlichen Tat,
womit mehrere Bürger ihren Fürsten erfreuten“
an dieses Ereignis und trug auch die Namen der tapferen Retter.
Das Privileg und der Pokal waren an die ganze Innung verliehen, wobei es jedoch die Meister geschickt anstellten und die Gesellen und Lehrjungen verdrängten.
Sie nahmen so das Privileg für sich in Anspruch.
Am 6. April 1813 gab ein französischer General den Befehl, die Vorstädte des Schlosses im Umkreis von 900 Schritten zu beseitigen, wobei auch die Amtsfischerei den Flammen zum Opfer fiel. Den Fischern wurde nahegelegt, sich in Pratau oder Knüppelsdorf anzusiedeln, was jedoch abgelehnt wurde. Als Ersatz wurden dann Gebäude in Kleinwittenberg angeboten, und um den Bau der Wohnhäuser zu beschleunigen, wurden sogar Bauprämien in Höhe von 50, 20, 15, 10 und 5 Talern ausgesetzt.
Lehm zum Bau der Häuser war auf den Wiesen ausreichend vorhanden, Holz kam mit Flößen aus Böhmen.
So entstand die Wilhelm-Straße, einstige Hauptstraße Kleinwittenbergs.
Einige der Häuser sind heute noch in der jetzigen Robert-Koch-Straße erhalten.
Zum Trocknen der Netze wurde den Fischern ein Geländestreifen (Wiesen) an der Elbe, von der jetzigen Hafeneinfahrt elbabwärts kostenlos überlassen.
Auf den Wiesen wurden die Netze an Pfählen getrocknet und geflickt. Jeder der Fischermeister hatte sein bestimmtes Gebiet in der bereits beschriebenen Elbstrecke und den Nebenarmen. Unterhalb grenzte das Revier der Fischer von Coswig an, oberhalb Klöden gehörte sie den Pretzscher Fischern.
Karl Jüngel †
***
aus: Freiheit vom 09.02. 1980