
Im Wittenberger Stadtgeschichtlichen Museum ist ein Dampfschiff aufgestellt, das sich nicht durch Schraube oder Rad, sondern mittels einer Winde an einer im Flussbett liegenden Kette fortbewegte.
Nur die älteren Bürger Wittenbergs und Umgebung werden sich an das Rasseln und Klirren der Kette, das weithin hörbar war, erinnern. Das Gedächtnis an dieses Fortbewegungssystem aufzufrischen, das viele Jahre hindurch das Bild der Schleppzüge auf unserer Elbe bestimmte, ist der Zweck dieser Darstellung.
Der Beginn dieser Seeschifffahrtsart fällt in die Zeit, wo man allerorts versuchte, die Dampfkraft nutzbar zu machen.
Versuche mit Raddampfern mussten auf Grund der Maschinenleistungen und Radkonstruktionen noch fehlschlagen.
Bis zur Einführung der Kettenschifffahrt (1866) blieb das Segeln oder der Leinzug -(Treideln) fast ungeschwächt erhalten.
Die von der Seine (Frankreich) ausgehende Technik wurde von der Vereinigten Hamburg-Magdeburger Dampfschifffahrts – Compagnie übernommen und mit großem Erfolg auf der schwierigsten Elbestrecke in Magdeburg 1866 eingeführt.
Wenig später wurde die Kette. bis Hamburg verlängert und eine günstige Frachtverbindung zwischen dem Seehafen Hamburg und dem wichtigsten Binnenumschlagsplatz Magdeburg war geschaffen.
Bei den Segelschiffern und Kahnbesitzern bestand zuerst große Abneigung, sich der Kettendampfer zu bedienen.
Die an den Ufern der Elbe wartenden brotlosen Treidler warfen mit Früchten und Steinen gegen die Dampfer.
Diese anfängliche Abneigung wurde jedoch recht bald überwunden und der Kettendampfer begann seinen Siegeszug.
Von 1870 bis 1875 wurde die Kette bis Melnik verlängert, die nun 730 km betrug.
Die Kette selbst wurde aus England und Frankreich eingeführt und wog 7 bis 8 Millionen Kilogramm.
Jedes Glied der 23 mm starken kurzgliedrigen Kette kostete 0,50 M. Der Gesamtwert betrug ca. 4 Millionen Mark.
Die Schiffskörper der Kettenschiffe mussten wegen der Führung der Kette auf dem Deck nach vorn und hinten gewölbt ausgeführt‘ werden.
Die Kette wurde am Vorschiff mittels beweglichem Ausleger aufgenommen und über die Kettenrinne den beiden Windentrommeln von ca. 1 m Durchmesser zugeführt.
In der Regel wurde die Kette dann viermal um die Windentrommel herumgeschlagen, wonach sie sich zum Heck abwickelte.
Auch am Heck war ein Ausleger angebracht; über dem die Kette zum Flussbett zurückgeführt wurde.
Auffallend waren auch die zwei Ruderstände, denn die Schiffe hatten jeweils hinten und vorn ein Steuer, welche entgegengesetzt wirkten, um die Kette wieder in die richtige Lage in das Flussbett zurückzulegen. An der Kette wurde bergwärts als auch talwärts gefahren. Begegnete ein talwärts fahrender Schleppzug einem bergwärts fahrenden, so musste dieser aus der Kette gehen. Geankert wurde an einem Ort, an dem die anderen Schiffe nicht behindert werden konnten.
In der Kette , befanden sich in bestimmten Abständen Kettenschlösser, wenn dies nicht der Fall war, wurde die Kette mit dem Schrotebeil zerschlagen.
Während das vordere Kettenende sich über die Trommel nach dem zu begegneten Schiff zu abwickelte, wurde das hintere Kettenende an eine Leine oder kleine Kette befestigt und im Flussbett versenkt. Ein Signal mit der Dampfpfeife verständigte das zu Tal fahrende Schiff. Langsam kam es herangefahren und nahm die abgeworfene lose Kette auf, die nun wieder zusammengeschlossen wurde.
In umgekehrter Weise wiederholte sich das Schauspiel nochmals.
Je nach Wasserstand und Wetterlage dauerte der ganze Vorgang 2-3 Stunden.
Alterung der Kette und Geldentwertung‘ waren die Hauptursachen, dass die Kettenschifffahrt 1926 auf der Mittelelbe eingestellt wurde.
In Magdeburg bediente man sich allerdings noch bis 1945 des Kettendampfers.
Reststücke der Kette wurden von den Elbanliegeorten benutzt, um die Fähren zu befestigen.
Karl Jüngel †
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aus: Freiheit vom 02.02. 1980