Friedrich der Weise – 400jähriger Todestag

Als der Kurfürst Friedrich von Sachsen am 6. Mai 1525 auf seinem Jagdschloß in der Lochau nach langem, schwerem Todeskampfe verschied, war anscheinend sein politisches Lebenswerk gescheitert.
Ein Menschenalter vorher war sein Bruder Albrecht Erzbischof von Mainz, ein anderer Erzbischof von Magdeburg und Bischof von Halberstadt, ein Vetter Hochmeister von Preußen:
in alle diese Stellen waren jetzt Mitglieder des rivalisierenden brandenburgischen Kurhauses eingerückt.
Dann hatte Friedrich in jahrzehntelanger zäher Arbeit die Führung der Reichsstände errungen, die der abenteuerlich verräterischen Politik Maximilians gegenüber den Bestand des Reiches zu sichern suchten.
Während der Kaiser an allen Grenzen die nationalen Interessen seiner selbstsüchtigen Hauspolitik opferte und das Reich für seine aussichtslosen Züge nach Italien zahlen ließ, wollte Friedrich den europäischen Händeln fernbleiben und die Kräfte Deutschlands nur in der Verteidigung, vor allem gegen die Türken einsetzen.
Im Innern galt es „Friede und Recht“ aufzubauen und durch eine von dem bestechlichen Habsburger unabhängige Rechtspflege sowie eine ständige Mitregierung, eine Art Bundesrat, zu sichern. Während Maximilian die Eidgenossen zum Abfall trieb und im Landeshuter Erbfolgekrieg aus dynastischer Ländergler den Südwesten des Reiches verwüstete, wollte Friedrich alle Streitigkeiten der Stände durch gütlichen Ausgleich schlichten und das noch immer üppig wuchernbe Raub- und Fehdewesen der Kleinen unterdrücken.
In seiner Landes-Verwaltung bewies er Einsicht und Wohlwollen in Behandlung der Bürger und Bauern, denen er jede übermäßige Steuerlast zu ersparen suchte.
Bei seiner musterhaften Lebensführung hatte er dennoch stets Mittel zur Verfügung, um die Künste, vor allem Baukunst und Malerei, zu fördern und bei seinem Drang nach tieferer Bildung seinem Sinn für die Größe der antiken Welt war es ihm Herzenssache, den Wissenschaften durch die Gründung der Universität Wittenberg (1502) eine Stätte zu bereiten.
Bei dem Fleiß mit dem er die Geschäfte betrieb, bestand auch seine Umgebung aus tüchtigen, gebildeten Männern, die mit ihrem Herrn auch in aufrichtiger Frömmigkeit wetteiferten.
Bei aller Friedfertigkeit aber, die auf einem seinen Mitteln entsprechenden, wohldurchdachten System beruhte, war Friedrich in gesunden Tagen kein Stubenhocker, sondern ein kühner Renner und Stecher und fröhlicher Jäger.
Er würde auch in einem Türkenkriege nicht dahinten geblieben sein. Der Höhepunkt seines reichpolitischen Strebens war es, als er sich am 27. Juni 1519, gestützt auf die bisher für den König von Frankreich gewonnenen Kurfürsten, durch die eigene Stimme zum Kaiser machte (siehe auch, Buch „Die Kaiserwahl Friedrich IV. und Karl V.), um Deutschland ebenso vor dem spanisch-burgundischen Joche zu retten, wie vor dem französischen.
Denn der jugendliche Habsburger, selbst als Französling, dann als Spanier erzogen, war nur der Träger des seit einem halben Jahrhundert erstrebten Imperiums der jüngeren Balois.
Seine Agenten, skrupellose Vertreter dieser Machtpolitik, zertrümmerten nun durch einen Staatsstreich von unerhörter Roheit und Tücke die nationale Politik Friedrichs;
mit den Banden Sickingens und Frundsbergs drohten sie, Frankfurt zu erstürmen und die Pfalz zu verwüsten.
Der Schwager Friedrichs, der Herzog von Braunschweig, mußte zum Entsatz zu spät kommen, so mußte Friedrich IV. abdanken.
Er hat dann auf dem dem Wormser Reichstage doch als Bollwerk gegen die Fremdherrschaft eine Reichsregierung errichtet, die wenigstens während Karis V. Abwesenheit walten sollte und deren Seele er selbst war.
Aber an der Verworrenheit der fürstlichen Interessen und infolge des frevelhaften Überfalles Sickingens auf das Erzbistum  Trier brach diese seine Schöpfung zusammen.
Und auch seine Bemühungen um die Befriedigung des schwer bedrückten Bauernstandes in seinen Landen hatten den Bauernkrieg nicht verhindert, der zur Zeit seines Todes soeben ausgebrochen war.
Und schon stand ein mächtiger, durch einen päpstlichen Staatsmann gestifteter Bund katholischer Fürsten bereit, die Reichsacht an dem Beschützer der hetzerischen Sekte zu vollziehen, der längst dem Bannfluch der Kirche verfallen war.
Schon hatte auch der junge Spanier Ferdinand, der jetzt den Kaiser vertrat, auf den Reichstagen Pläne geschmiedet, um ihn vor allem der Kurwürde zu berauben und womöglich von Land und Leuten zu jagen. Sein Vetter Georg in Dresden wäre der erste gewesen, der ihm dabei, wie 1546 dessen Neffe Moritz seinem Nachfolger, in den Rücken gefallen wäre. Denn wie auch die Geschichte der Welfen und Wittelsbacher und der mit diesen verschwägerten Habsburger zeigt, waren immer die nächstverwandten Familien aufs grimmigste unter sich verfeindet.

Aber inzwischen hatte dieser wahrhaft weise Staatsmann dafür gesorgt, daß durch geistige Mächte ersetzt wurde, was den Ernestinern an äußerer Machtstellung verloren gegangen war.
Und als er aus dem langen, mit größter Klugheit und Kühnheit geführten Kampfe um die Erhaltung Luthers und der evangelischen Lehre durch den Tod abgerufe wurde, war das Reformationswerk über die ersten gefährlichsten Jahre hinweg gerettet.
Bald standen sein Bruder und sein Neffe an der Spitze eines selbst der spanisch-habsburgischen Macht furchtbaren Bundes der protestantischen Stände, der sich vor allem auf die Machtmittel des gebildeten Bürgertums aller großen Städte, der eigentlichen Träger der deutschen Kultur stützen konnte, wie Friedrich immer eng befreundet mit Nürnberg gewesen war, der damaligen Hauptstadt Deutschlands.
Und was das eigentlich Erhebende und Trostreiche an der Geschichte dieses bescheidenen und schlichten Mannes ist, er war zu jenem Kampfe gegen dle höchsten Gewalten der Christenheit durch rein ideale Beweggründe geführt worden.
Man hat wohl neuerdings gemeint, er habe sich Luthers nur angenommen, um seiner Hochschule einen zugkräftigen Lehrer zu erhalten, oder aus Eifersucht auf seine Landeshoheit.
Aus solchem Anlaß setzt man sich nicht solchen Gefahren aus! Zumal Friedrich bei seinem kirchlichen Eifer sich zunächst nicht genug tun konnte in frommen Werken, wie einer Pilgerfahrt nach Jerusalem, im Sammeln von Reliquien, im Anhäufen von Ablässen. Aber dieser Eifer entsprang einem tiefen religiösen Gefühl und dem gewissenhaften Streben nach der Erkenntnis der göttlichen Wahrheit aus Quellen aus der heiligen Schrift.
Das war es, was ihn mit dem gelehrten Mönche zusammenführte, der ebenfalls nicht ruhen konnte, bis er den von Christus und Paulus gewiesenen Heilsweg wieder entdeckt hatte.
Wohl hatte sich Friedrich zunächst geärgert, als Luther das Ablaßfest in seiner Schloßkirche durch seinen Angriff auf die kirchliche Praxis störte.
Aber bald wählte er ihn, mit dem er im regsten brieflichen Verkehr blieb, zu seinem Gewissensrat und bat um Belehrung über die rechte Art, die Heiligen anzurufen, und über die Gesinnung, in der gute Werke vollbracht werden sollen, endlich über den Wert, den die Ablässe noch haben könnten.
Und wenn Luther ihn auf die Barmherzigkeit Gottes verwies und ihm als Kern seiner Thesen den Satz auslegte:
„Wahre Reue sucht und liebt die Strafe“,
so blieb Friedrich fort und fort bemüht, sich an der Hand der Schriften Luthers mit dem Worte Gottes recht vertraut zu machen. So erklärte er auch neben der diplomatischen Finte, daß er mit Luthers theologischen Streitigkeiten nichts zu tun habe, wiederholt, er habe nur den Wunsch, daß „die Wahrheit ans Licht komme“. Daher könne er Luther nicht preisgeben, ehe dieser nicht vor einem unabhängigen Schiedsgericht von Gelehrten, als dessen Leiter er die größte Autorität, Erasmus von Rotterdam zu gewinnen suchte, des Irrtums überführt sel.
Schon die Bedingung, die er dem Kaiser stellte, daß dabei nur auf Grund der heiligen Schrift entschieden werden dürfe, zeigt ihn als überzeugten Lutheraner.
Und als solchen bekannte er sich auch aus dem Sterbelager:
nicht nur, daß er sich das Abendmahl unter beiderlei Gestalt reichen ließ, er las auch trotz großer Schmerzen mit Aufmerksamkeit und Andacht eine Trost- und Bekenntnisschrift, die sein Hofkaplan Spalatin für ihn entworfen hatte.
So braucht auch nur in aller Kürze an einige Zügen aus dem langwierigen Ringen um Luthers Werk erinnert zu werden, wie Friedrich sein Verhör in Augsburg vor dem Legaten durchsetzte, der ihn nur väterlich ermahnt und ungekränkt entlassen sollte.
Wie er den täppischen Junker Miltitz für seine Winkelzüge zu benutzen wußte und wie taktvoll er es Luther verschwieg, daß der Papst ihm durch den Kardinalshut und ein reiches Bistum den Mund verschließen wollte, damit der Kurfürst als „Verteidiger des apostolischen Stuhles“ gegen Spanier und Franzosen Kaiser werden könne.
Wie er In Köln und in Worms persönlich bei Karl V. für das Verhör Luthers vor dem Reichstage eintrat, das er zu einer gelehrten Disputation zu erweitern gedachte, und wie er dann die Beschlußfassung über das von dem Nuntius entworfene, vom Kaiser gewünschte Verfolgungsgesetz vereitelte, so daß es nur in der Trugversammlung einiger Bischöfe gutgeheißen wurde.
Freilich tat er gut daran, sich der etwaigen Rache der Gegner durch vorzeitige, heimliche Entfernung vom Reichstage zu entziehen, ohne den Erlaub des Kaisers einzuholen; denn dessen Feldhauptmann Sickingen und seine Reiterbanden waren zu jeder Gewalttat zu gebrauchen.
Aber er hat dann in Nürnberg die Verteidigung der lutherischen Bewegung fortgesetzt und die Beschlüsse jener beiden Reichstage herbeiführen geholfen – als „das Register der sonst verstimmten Orgel“, wie man damals sagte – die eine weitere Ausbreitung der evangelischen Lehre ermöglichten.
Denn es war für ihn „Gottes Werk, und nicht der Menschen“, wie er seinem Bruder von Worms aus schrieb.
Und so konnte Luther, an sein kurzes Kaisertum anknüpfend, schon 1521 erklären:
… in ihm sei die alte Weissagung erfüllt von dem Kaiser Friedrich, der das heilige Grab erlösen solle; denn damit sei das Wort Gottes gemeint, und dabei sei es auch gleichgültig, wie lange er Kaiser gewesen sei:
genug, daß er es war!

Professor D. Dr. P. Kalkoff †

aus: Blätter für Heimatgeschichte vom 29.05.1925 ff