In der gesamten DDR gibt es 7561 Litfaßsäulen, allein in Berlin darunter 1180.
In Wittenberg haben wir davon 36 Stück und außerdem zwei Anschlagtafeln, die denselben Zweck erfüllen sollen.
Die Anschlagsäulen, die noch heute den Namen ihres Erfinders, des Buchdruckers Ernst Litfaß, tragen, wurden erstmalig laut Veröffentlichungen in sämtlichen Berliner Tageszeitungen, am 1. Juli 1855 aufgestellt.
Damit war das „wilde“ Ankleben von Plakaten und Bekanntmachungen aller Art in Berlin verboten.
Litfaß hatte mehr Glück als sein Bruder Franz, der den Gedanken auch schon hatte, doch in Naumburg 1854 damit nicht durchkam, weil die Stadtväter dafür kein Verständnis hatten.
Der Berliner Litfaß verwirklichte die Aufstellung in Berlin auf Grund von Erkenntnissen, die er in Frankreich, Belgien und England auf Reisen sammelte, denn der eigentliche Vater der Säulen war ein Mister G. S. Harris in London, der schon seit 1825 auf diese Art und Weise Plakate ankleben und sich das behördlicherseits privilegieren ließ.
Es ist ein Zufall, dass auch für unsere Stadt gerade der 1. Juli — al-lerdings erst — 1880 der Tag der ersten Aufstellung wurde.
Damals erhielt der Buchdruckereibesitzer und Herausgeber des „Wittenberger Kreisblattes“, Woldemar Fiedler, von der Polizeiverwaltung die Konzession zur Aufstellung von 15 Anschlagsäulen.
Durch Zahlung einer jährlichen Pacht von 100,— M durfte er innerhalb der Stadt und in den Vorstädten an verschiedenen Stellen solche Säulen errichten.
Die Stadtverordnetenversammlung von Wittenberg hatte vorher auf ihrer Sitzung am 25. Mai 1880 darüber diskutiert und ihm die Erlaubnis auf 12 Jahre erteilt.
Man erkannte den Vorteil vor allem darin, dass auch in Wittenberg dadurch das Bekleben der Häuser und Zäune wegfiel und das oft bespöttelte Ausklingeln von Bekanntmachungen damit ein Ende fand.
Die Hälfte der Abgeordneten stimmten dafür, die andere Hälfte dagegen, weil man sich über die Dauer von 12 Jahren nicht einigen konnte.
Entscheidend war dann die Stimme des Stadtverordneten-Vorstehers Bosse, der sich für 12 Jahre entschied:
Fiedler hatte seine Druckerei im Hause Markt 3, wo er mit drei Schnellpressen mit Dampfbetrieb arbeitete.
Allerdings hatte er am 1. Juli 1880 erst acht Säulen aufgestellt, die restlichen sieben kamen später hinzu.
Geschickt klebte er kostenlos die Bekanntmachungen der Behörden mit an die Säulen, ebenso die privaten Anzeigen, diese aber nur dann, wenn sie vorher bereits in seiner genannten Tageszeitung erschienen waren.
Dieses Plakat nannte er „Wittenberger Straßenanzeiger“.
Fiedler übernahm schon damals auch das Ankleben auswärtiger Plakate oder solche von hier, wenn sie auch nicht bei ihm gedruckt worden waren.
Die ganze Sache bekam erst den richtigen Anstrich, als die Polizeiverwaltung von Wittenberg eine öffentliche Bekanntmachung unterm 2. Juli 1880 erließ, aus der hervorgeht, dass niemand außer Fiedler das Bekleben der Säulen durchführen durfte, dass für die Arbeit des Klebens selbst nur von der Polizeiverwaltung bestätigte Ankleber und „Requisiteure“ (Zilm und Morgan) zugelassen sind und dass niemand die Plakate beschmutzen oder abreißen darf, sonst erhält er eine Strafe von 1,50 M bis zu 9,— M “ im Unvermögensfalle eine verhältnismäßige Haftstrafe“.
Heute übernimmt die DEWAG neben den hiesigen Theater-, Konzert-, Kulturhäuser-Plakaten und sonstigen Bekanntmachungen auch Plakate aus der gesamten DDR.
Wittenberg, Kleinwittenberg und Piesteritz hatten 1880 zusammen rund 15 000 Einwohner.
Damals waren 15 Anschlagsäulen vorhanden.
Heinrich Kühne †
aus: Freiheit vom 08.1980