Gefängnis für „Löbtauer Lied“

Vor 80 Jahren sang in einer Gastwirtschaft in der Juristenstraße ein Arbeiter sicherlich in angeheiterter Stimmung das damals überall bekannte „Löbtauer Arbeiterlied“.
Er wurde von der wilhelminischen Justizverwaltung dafür mit einer Gefängnisstrafe von acht Tagen belegt.
Das geht aus einer Schöffengerichtssitzung aus Wittenberg hervor und der Verurteilte war der Arbeiter Hermann Natusch.
Als ich in der Mitte der fünfziger Jahre der Angelegenheit auf den Grund ging, bat ich durch die „Freiheit“ die Leser um Mitteilung über das Lied.
Die Zuschriften waren damals unerwartet groß und interessante Einzelheiten gingen daraus hervor.
Alles fasste ich zu einem großen Forschungsauftrag zusammen, der in Leipzig erschien und zusammen mit anderen Aufsätzen von Prof. Dr. Wolfgang Steinitz in seinem großen Sammelband über deutsche Volkslieder demokratischen Inhalts besonders behandelt wurde.
Das Lied beginnt:

„In Löbtau saß bei ihrem Kinde
die Frau des Arbeitsmanns und weint…“.

Es wurde nach der Melodie des früher so beliebten Walzers:
„Weißt du, Mutterl, was i g’träumt hab?“ gesungen.
Aber auch bei gesellschaftlichen Zusammenkünften der Arbeiterpartei und der Gewerkschaften konnte man es hören, so auch in Klein-Wittenberg im Jahre 1905 durch die politisch-satirische Gesangsgruppe Strehlewitz.
Dieses Lied erzählt von dem eingekerkerten Maurer und es hat seine Entstehung aus dem aktuellen Anlass, dass 1899 neun Löbtauer Bauarbeiter mit insgesamt 53 Jahren Zuchthaus, acht Jahren Gefängnis und 70 Jahren Ehrverlust verurteilt wurden.
Sie protestierten gegen die Arbeitszeit die bis gegen 20 Uhr dauerte, wurden vom Juniorchef Klemm beschimpft, der zum Revolver griff, darauf verprügelten sie ihn.
Die Not in den Familien der eingesperrten Arbeiter konnte gelindert werden, weil Wilhelm Liebknecht und August Bebel durch eine Solidaritätsaktion 100 000 Mark für sie sammelten.

Heinrich Kühne †

aus: Freiheit vom 09.1981