Während des 1. Weltkrieges nur deutsche Produktionen

Die Entwicklung des Kinos ging mit riesigen Schritten voran.
Es war wie bei vielen anderen Erfindungen die Zeit einfach reif, bewegliche Bilder dem Publikum zu zeigen.
Das Bedürfnis der Bürger zu neuen Unterhaltungen war gestiegen. Der Weg vom Schaubudentheater über die Ladenkinos war vorbei, als man nach 1910 ehemalige Tanzsäle umfunktionierte, indem man ständige, nach den polizeilichen Vorschriften erforderlichen Sitzplatzreihen miteinander verband und sie nicht mehr entfernte. Diese Saalkinos gab es auch in Wittenberg und im Kreisgebiet.
Doch hier soll erst einmal ein ganz besonderes Ereignis auf dem Gebiet der Filmunterhaltungskunst aufgezeigt werden.
Wittenberg kann für sich in Anspruch nehmen, einen der ersten Zweckbauten der Filmtheater gehabt zu haben.
Gemeint ist der Bau des „Lichtspiel-Theaters“ im Hause Mittelstraße 9.
Nach Abriß eines alten Hauses ließ der Kaufmann Paul Friedrich hier einen Neubau entstehen.
Vermutlich hat Paul Schlegel, der nach Schließung des Kino-Salons in der Neustraße nur noch die „Fata Morgana“, also das „Theater lebender Fotographien“ im Hause Collegienstraße 20, Eingang von der Mittelstraße, besaß, gemeinsam mit Paul Friedrich das Projekt eines Kino-Neubaues durchgesprochen.
Denn, als die Einweihung des „Lichtspiel-Theaters“ im Jahre 1913 stattfand, war Paul Friedrich der Hausbesitzer (Neustraße 1-2 wohnhaft), während Paul Schlegel als „Lichtspiel-Theaterbesitzer“ bezeichnet wird, der im Paterre das Kino hatte, selbst im 2. Stockwerk des Hauses aber wohnte.
1925 finden wir dann den Genannten als Kinobesitzer und Hauseigentümer.
Dieser schöne Zweckbau hatte 400 Sitzplätze und war in seiner Anlage so modern, daß er bis zum Ende als Filmtheater allen Anforderungen, natürlich nach allerlei Verbesserungen baulicher und maschineller Art, gerecht wurde.
Die Eröffnungsvorstellung fand im März 1913 statt und die Filmproduktion hatte allgemein auch eine neue Weiterentwicklung genommen, so daß anläßlich der Eröffnung schon der Großfilm „Königin Luise“ gezeigt wurde.
Aber es war noch die Stummfilmzeit, so daß Seppel Koschischek, nunmehr aber verstärkt mit einer kleinen Kapelle, die musikalische Untermalung bieten konnte.
Auch mußte das Publikum nach wie vor die Erläuterungen und die Geräusche durch den Erklärer über sich ergehen lassen.
Ein Jahr später brach der 1. Weltkrieg aus.
Kürzere oder längere Zeiten mußten die Aktiven und die Reservisten in Wittenberg verweilen, ehe sie zu den Schlachtfeldern Europas transportiert wurden.
Bald kamen auch die ersten Verwundetentransporte hier an.
Für viele Soldaten war das die einzige Abwechslung, ein Kinobesuch bei Schlegel.
Von sich aus hatte Frau Schlegel eine Goldsammelstelle eingerichtet.
Für jedes abgegebene Goldstück spendete sie eine Freikarte zur Kinoveranstaltung.
Überhaupt hatte sich bald die ganze Filmproduktion auf das furchtbare Kriegsgeschehen eingestellt. Anstelle der ausländischen Filmstreifen kamen nun nur noch deutsche Produktionen zur Vorführung.
Schlegel mußte nehmen, was man ihm anbot und je länger der Krieg dauerte, um so mehr wurden die Kinos mit Durchhaltefilmen überschwemmt:
– „Die Feuertaufe“,
– „Harte Zeiten“,
– „Der unbekannte Held“,
– „Das Vaterland ruft“ und andere.
Nebenher liefen die Kriegswochenschauen und mancher Kriegsinvalide wird anläßlich der Vorführungen, die Schlegel zum Gunsten des Deutschen Roten Kreuzes gab, sich seine eigenen Gedanken gemacht haben, auch über die Militär-Lustspiele wie „Armor in Feldgrau“
Heinrich Kühne †
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aus: Mitteldeutsche Zeitung vom 29.08.1991