Seit einigen Tagen ist in einem Schaufenster der Kinderbibliothek des Hauses der Junger Pioniere in der Rosa-Luxemburg-Straße eine Sonderausstellung von Kinderbüchern zu sehen.
Die Beschriftungen weisen darauf hin, daß man eine Gegenüberstellung der Bändchen aus 1862 und 1962 vor sich hat. Hundert Jahre liegen zwischen dem Erscheinen der Bücher der einen Seite und solche der anderen.
Was hat sich inzwischen geschichtlich und kulturgeschichtlich nicht alles abgespielt?
Bei dieser Schau kann jeder erkennen. daß das Kinderbuch nicht aus der gesellschaftlichen Umwelt allein herauszunehmen ist, sondern auch die Kinderbücher Ausdruck der jeweiligen gesellschaftlichen Verhältnisse sind.
Vom Thema her, von dem Inhalt, der Gestaltung der Titelseite und der Bebilderung können wir dies ablesen, auch die Kindermoden lassen das erkennen.
Das moderne Kinderbuch spricht. eine allgemein verständliche Sprache. Schwieriger ist die Aussagefähigkeit der rechts im Fenster liegenden Bücher.
Als Junge von zwölf Jahren hatte der Verfasser dieser Schriften die reignisse der 48er (1848) Jahre, wenn vielleicht auch nur am Rande, erlebt.
Sicherlich waren später viele der unvollendeten Ideen des fortschrittlichen Bürgertums in der Lehrerausbildungsanstalt in Weißenfels, wo sich der junge Ernst Lausch die Grundlagen für seinen Lehrerberuf erarbeitete, zur Sprache gekommen.
Er sah dann als Pädagoge, wie notwendig die Schaffung einer Kinderliteratur war. Stoff genug bot sich ihm täglich im Umgang mit den Kleinen an, zumal er sich sehr zeitig als Fachschriftsteller betätigte.
Im Laufe der Jahre schuf er all die schönen Märchen-, Rätsel- und Fabelbücher die nur in beschränkter Anzahl ausgestellt werden konnten.
Sie sind aus den Beständen des Heimatmuseums (Melanchthonhaus) und könnten noch erweitert werden.
Müßte nicht auch heute jeder Jugendschriftsteller erfreut sein, wenn seine Bücher einen solchen Anklang finden würden, wie die von Ernst Lausch, die zum Teil weit über Deutschlands Grenzen gingen und manchmal eine Verbreitung von 40 Auflagen hatten!
Wir finden bei ihm ferner Veröffentlichungen, wie
„Spiele im Freien für die Jugend“ und „Zimmerturnen„.
Damit kommen wir zu einer anderen Seite seines Schaffens, die im Zusammenhang erwähnt sei.
Lausch hatte als fortschrittlicher Pädagoge den Wert des Turnens und der Leibesübungen überhaupt erkannt und setzte sich für ihre Verbreitung nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch ein.
Er kannte noch die Verfolgung eines Friedrich Lugwig Jahn und die Turnsperre des reaktionären preußischen Staates.
Leibesübungen von klein auf in der Schule und dann auch in den späteren Jahren hielt er für unerläßlich.
Er kämpfte gegen dir Unwissenheit in den eigenen Reihen genau so wie gegen die bewußte Hintertreibung seiner Vorgesetzten.
Für die Geschichte der Leibesübungen und besonders des Turnens in Wittenberg, bleibt das Wirken dieses Mannes unvergessen.
Mit 28 jungen Männern gründete er einen Männer-Turnverein, den er mehrere Jahre lang selbst leitete.
Wittenberg als Handwerkerstadt beherbergte viele junge Menschen, die oftmals völlig fremd waren und von auswärts nach hier kamen oder elternlos im Haushalt des Meisters lebten.
Für sie alle wurden die wöchentlichen Turnstunden zur Quelle der körperlichen und geistigen Kraft, die in den kleinen, dunklen Werkstatträumen der stinkigen Hinterhöfe der alten noch mit Mauern umgebenen preußischen Garnisonstadt zu versiegen drohte.
In diesem Jahre jährt sich die hunderte Wiederkehr dieser segensreichen Gründung.
Diese Gedanken sollten uns beim Betrachten der alten Kinderbücher im Schaufenster Anlaß sein, des Jugendschriftstellers und Turners Ernst Lausch zu gedenken, der als einfacher und schlecht bezahlter Volksschullehrer in unserer Heimatstadt Großes für die heranwachsende Jugend getan hat.
Heinrich Kühne †
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aus: Rundblick vom 06.10.1962