Nach dem Glauben der alten Griechen und Römer war Ceres, die Göttin des Ackerbaues, die Spenderin des Getreides. Ihr zu Ehren erhielten darum die Körnerfrüchte den Namen Cerealien.
Bei unseren germanischen Vorfahren wurde Odin als Gott der Ernte verehrt. Auch waren sie der Ansicht, Fro oder Freyr, der Sonnengott, ritte auf einem Eber durch die Fluren, um ihnen Wachstum und Gedeihen zu spenden. In dunkler Erinnerung an diesen Glauben sagt man in Thüringen noch heute, wenn der Wind die Ähren bewegt, ein Eber rausche durch das Korn.
Bei der Ernte ließ man am Ende des Feldes ein kleines Stück ungemäht und band dort die Ähren als Opfer für Wodan zusammen. Dann bildeten die Mäher um dieses einen Kreis, entblößten das Haupt, wendeten die Sensen dem Ährenbüschel zu und riefen dreimal:
„Wode, Wode,
Hale dinem Rosse nu Foder.
Nu Distel und Dorn,
Tom andern Jar beter Korn!“
Dieser Brauch hat sich in Mecklenburg und am Harz lange erhalten. In manchen Gegenden fügte man dem Ährenopfer auf Roggenfeldern noch ein Stück Roggenbrot, auf Weizenfeldern ein Stück Weizenbrot bei. Auch in anderer Weise bekundete sich die Dankbarkeit für den Erntesegen. In Hessen warf man, sobald die Ernte beendet war, nachts 12 Uhr eine Garbe aus der Scheune, damit die Engel ihren Teil des Gottessegens erhielten, und am Harz ließ man sogar eine Garbe für die Sperlinge auf dem Felde stehen.
Es ist erklärlich, daß eine so wichtige Frucht wie das Getreide, in seiner ganzen Entwickelung vom Keimen bis zur Ernte mit besonderem Interesse beobachtet wurde, und daß eine große Anzahl von Sitten und Gebräuchen sich an dieses knüpfte.
War im Frühjahr die Feldflur bestellt, so wurde diese mit einem Pfluge, der von Jungfrauen gezogen wurde, umzogen. Hierdurch wollte man dem Getreide ein gutes Gedeihen sichern.
In Süddeutschland zogen am Aschermittwoch die jungen Burschen die jungen Mädchen aus den Häusern und spannten sie vor einen Pflug. Hans Sachs erzählt in seinem Schwank „Die Hausmaid im Pfluge“, daß er bei Regensburg am Aschermittwoch sechs schöne Hausmaide an einem Pfluge habe dahinziehen sehen, ein Bursche trieb sie mit der Peitsche an, ein anderer hielt zuhinderst den Pflug, und ein Teil seiner Gesellen trieb noch mehr Hausmaide hinzu. Es waren diejenigen, die bis Fastnacht keinen Mann bekommen hatten, Wollte der Landmann seine Saaten vor Blitz, Hagel und schädlichem Ungeziefer schützen, So besteckte er am Palmsonntag die Felder mit geweihten Weidenzweigen (Palmzweigen). In einigen Gegenden, wie den Alpen, war es Sitte, brennende Strohbündel über die Felder hinabrollen zu lassen, um „das Korn aufzuwecken“.
In anderen Gegenden schoß man am Walpurgisabend (1. Mai) mit Gewehren dreimal über die Saatfelder, um die Hexen von den Fluren zu vertreiben, damit sie keinen Schaden anrichten konnten. In der Altmark herschte die eigenartige Sitte, daß die Brautleute während der Trauung Getreidekörner in den Schuhen trugen, um hierdurch die Fruchtbarkeit der Felder zu vermehren.
In manchen Gegenden wird in die erste geerntete Garbe ein Brot und ein Ei eingebunden, um einen reichen Ertrag für das nächste Jahr zu sichern.
An anderen Orten wurde der erste Pflug im Frühjahr über ein Brot und ein Ei im Acker geführt, auch vergrub man wohl beides in das bestellte Feld.
In Thüringen ißt der Landmann mit seiner Familie einige frische Eier auf dem eben bestellten Acker. Das Ei ist hier das Symbol des erwachenden Lebens.
Aus all diesen Sitten und Gebräuchen geht hervor, daß der Landmann schon früh zu der Erkenntnis gekommen ist, daß zum Gedeihen des Getreides mehr erforderlich ist, als seiner Hände Arbeit. Er schrieb diese Einwirkung geisterhaften Wesen zu, die bald einen günstigen, bald einen günstigen, bald einen schädlichen Einfluss auf die Feldfrüchte ausübten. Der bösartigste und gefürchtetste unter diesen Geistern war der Bilwis.
Man dachte sich ihn als einen sehr mageren Mann, angetan mit einem langschößigen Rock, das Haupt bedeckt mit einem dreieckigen Hütchen. Entweder um Walpurgis oder um Johannis, wenn kein Mond am Himmel stand, schlich er zur Mitternachtszeit aufs Feld. War er bei dem Acker angekommen, dem er schaden wollte, so schnallte er seinen rechten Schuh ab, nahm ihn unter den Arm und band an die große Zehe seines rechten Fußes eine kleine, sehr scharfe Sichel. Dann ging er quer und schräg oder in Schwenkungen durch das Getreide und mähte schmale, aber sehr lange Gassen. Bis zum Morgen waren alle abgeschnittenen Halme verschwunden, so daß der Eigentümer, wenn er auf sein Feld kam, nichts weiter sah, als die Verwüstung seines Getreides und die trostlos leeren Gänge.
In Bayern, im Voigtland, in Thüringen war der Bilwis bekannt und gefürchtet. Jede Gegend besaß ihr besonderes Mittel, ihn unschädlich zu machen.
In Landau z.B. steckte man mitten in den Acker auf einen Stab einen aus Feldblumen gewundenen und am Gründonnerstag geweihten Kranz.
In der Passauer Gegend band man bei der Ernte in die erste Garbe einen Wacholderzweig und legte sie zuerst auf den Wagen, drosch sie aber zuletzt aus. Hierdurch sollte der Acker im nächsten Jahre vor dem Bilwis gesichert sein.
Sehr schwer war es, den Unhold zu entdecken und zu vernichten.
In Thüringen hing man sich zu diesem Zwecke am Trinitatissonntag einen Spiegel um den Hals und setzte sich auf einen Holunderbusch, indem man sich fleißig nach allen Seiten umsah.
Doch wagte man es höchst selten, auf diese Weise den Bilwis zu entdecken, denn wen der Bilwis zuerst sah, der mußte sein kühnes Unternehmen mit dem Tode büßen. Nur wenn der Bilwis sich im Spiegel erblickte, ohne dessen Träger zu sehen, mußte er binnen Jahresfrist sterben.
Zur Erklärung über die Entstehung dieser Sage sei darauf verwiesen, daß man in Getreidefeldern, welche in der Nähe eines Waldes liegen, solche leergetretenen Gänge findet, die sich dem nüchternen Beobachter als die Spuren der Hirsche und Rehe darstellen, die zur frühen Morgenzeit Äsung im Getreidefeld gehalten haben. Im Gegensatz zu dem bösen Bilwis steht die segenspendende Roggenmuhme, deren Tun unser Eingangsgedicht schildert.
Wenn in früherer Zeit die Heilighaltung des Sonntags viel strenger beobachtet wurde, als heute, so war es besonders verrufen, am Sonntag Getreide zu schneiden, und es werden viele Beispiele davon erzählt, wie Gott seinen Unwillen über derartigen Frevel bekundete:
In Kamin in Pommern lebte eine Edelfrau, die nichts von einer Arbeitsruhe am Sonntag wissen wollte. Eines Sonntags wollte sie ihr Gesinde zwingen, Getreide zu schneiden. Als sich dieses aber weigerte, ergriff sie selbst die Sichel. Doch als sie den ersten Schritt getan hatte, erstarrte sie.
Ein andermal traf ein Priester am Sonntag einen Mann und seine Frau beim Getreideschneiden. Er ermahnte beide, den Tag nicht zu entweihen. Als der Mann trotzdem in der Arbeit fortfuhr, stürzte er plötzlich tot zu Boden.
Die Erntezeit ist die Zeit, in welcher der Mensch die Güte Gottes besonders erkennen und preisen soll. Es ist daher eine schöne Sitte, daß in vielen Gegenden die Landleute, ehe sie sich bei Beginn der Ernte auf das Feld begeben, sich in der Kirche zu einem Dank und Bittgottesdienste vereinen.
In anderen Gegenden ist es Sitte, daß während der Erntezeit des Mittags die Kirchenglocke geläutet wird. Bekannt und vielverbreitet ist die Sitte, mit dem letzten Getreidefuder den Erntekranz heimzubringen, der aus verschiedenen Ähren gewunden und mit Blumen und bunten Bändern reich verziert ist.
Mit einer Ansprache des Großknechtes oder der Großmagd wird dieser der Herrschaft überreicht, die dafür sämtliche Erntearbeiter beschenkt und bewirtet. In vielen Fällen schließt sich daran ein froher Tanz, den der Herr mit der Großmagd und die Herrin mit dem Großknecht eröffnet.
Je nach der Gegend erfährt diese Sitte verschiedene Abänderungen. In anschaulicher Weise schildert diese Schiller im „Lied von der Glocke“
Hat auch in unserer Zeit des Dampfes, der Elektrizität und der Maschinen, in der leider das frühere mehr patriarchalische Verhältnis zwischen Herrschaft und Gesinde geschwunden ist, die weltliche Feier des Erntefestes immer mehr von ihrem schönen Charakter eingebüßt, so hat doch die Kirche dafür Sorge getragen, daß der Landmann und Bürger nicht vergißt, dem höchsten Herrn der Ernte Lob und Dank zu sagen;
in sehr vielen Fällen ziert am Erntedankfest ein Ährenkranz den Altar und demütig und dankbar bekennt die Gemeinde:
Wir pflügen und wir streuen
Den Samen auf das Land,
Doch Wachstum und Gedeihen
Steht in des Höchsten Hand.
Richard Erfurth †
aus: O du Heimatflur! vom 19.08.1925
♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦
Die Roggenmuhme
Es schläft die Luft, es weht der Wind,
Und dennoch beugen tausend Ähren
Bald leise sich und bald geschwind,
als ob sie freien Willens wären.
Rings liegt die Flur so seltsam stumm,
Gleich einem weiten Heiligtume. –
Das macht, unsichtbar schreitet um
Im Erntefeld die Roggenmuhme.
Mit schwielenharter, brauner Hand
Erteilet sie dem Korn den Segen,
Wenn sich im heißen Sonnenbrand
Beginnt der Blüte Frucht zu regen.
Wo sie die Ähren rührt, da quillt
Empor die Milch der Mutter Erde
Ins Körnlein, welches freudig schwillt,
Daß es zum Brot des Menschen werde.
Und wo zu schmalen Äckerlein
Sich teilen die besäten Breiten,
Da sieht man doppelt sie feldein,
Feldaus der Armen Land durchschreiten.
Mein Kind, hab du des Kornes acht,
Zertritt es nicht ob einer Blume –
Mit ihren großen Augen wacht
Im Feld die strenge Roggenmuhme.
W. Stamm.