Bei dem Dorfe Bülzig in der Nähe der Riemerschen Dampfziegelei erhebt sich ein Granitblock, neben dem ein Flaggenmast emporragt. Beides bezeichnet die Stelle, an welcher das Zeppelin-Luftschiff „Z. III“ am 30. August 1909 bei der Rückfahrt von seinem Siegesfluge von Friedrichshafen am Bodensee nach Berlin infolge der durch Propellerbruch erlittenen Beschädigungen eine Notlandung vornahm.
Unweit dieser Stelle, an der nach Wittenberg führenden Straße, stand in früherer Zeit ein ansehnlicher Gasthof. Namentlich zur Zeit der Leipziger Messe herrschte in ihm ein lebhafter Verkehr, denn die Fuhrwerke, welche die Straße kamen, sahen sich durch die hier steil ansteigenden Flämingsberge genötigt anzuhalten, um sich gegenseitig Vorspanndienste zu leisten, wobei dann selbstverständlich ein guter Trunk in der geräumigen Wirtsstube nicht fehlen durfte.
Noch in den achtziger Jahren (1880er) des verflossenen Jahrhunderts waren Mauerreste des Gasthofes zu sehen, die aber bei dem Ausbau der Landstraße im Jahre 1882 beseitigt wurden.
Zu den ständigen Besuchern des Gasthofs gehörte ein angesehener Berliner Händler namens Hans Kohlhaas (nach anderer Lesart Michael Kohlhaas).
Ein etwa 200 Meter von jener Stelle entfernter Brunnen führt noch heute nach ihm den Namen „Kohlhaasbrunnen“.
Dieser Mann hat es in der Geschichte zu trauriger Berühmtheit gebracht, und die „Kohlhaase’schen Händel“ bilden noch heute einen beliebten Erzählstoff. Allerdings ist hierbei Sage und Phantasie eifrig tätig gewesen, sodaß es heute schwer fällt, Wahrheit und Dichtung zu unterscheiden. Das gilt vor allem auch von der bekannten Erzählung „Michael Kohlhaas“ von Heinrich von Kleist, die mit viel romanhaften Zügen und phantastischem Beiwerk versehen ist. Nicht anders sind die dramatischen Bearbeitungen des dankbaren Stoffes zu werten, die meist auf Kleists Erzählung fußen, wie z. B. „Schwarmgeister“ von Karl Weitbrecht,
„Ums Recht“ von Richard Zoogmann u. a.
Was die geschichtlichen Forschungen, die gleichzeitig ein grelles Schlaglicht auf die Rechtsverhältnisse und Kulturzustände jener Zeit werfen, von diesem eigenartigen Manne zu berichten wissen, soll im folgenden wiedergegeben werden:
Hans Kohlhaas war ein Händler aus Berlin, der mit allerlei Waren zur Leipziger Messe zog, daneben aber auch Pferdehandel betrieb. Auf einer dieser Reisen geriet er im Dorfe Wellaune bei Düben am 1. Oktober 1532 im dortigen Gasthof mit Knechten des Junkers Günther von Zaschwitz auf Schnaditz in Streit, da diese ihn des Pferdediebstahls beschuldigten.
Kohlhaas, von der Uebermacht hart bedrängt, mußte Pferde und Wagen im Stiche lassen und floh zu Fuß nach Leipzig, wo er bei einflußreichen Leuten sein Recht suchte. Mit einem von diesen erwirkten Schreiben kehrte er nach Wellaune zurück und forderte Wagen und Pferde, die unterdessen beim dortigen Ortsschulzen untergebracht waren. Dieser wollte die Tiere aber nur gegen Erstattung der Futterkosten in Höhe von 6 Groschen herausgeben. Damit erklärte sich Kohlhaas aber nicht einverstanden und ging mit der Drohung fort, sich sein Recht suchen zu wollen.
Durch den Verlust seines Eigentums geriet er in Bedrängnis und war gezwungen, sein Besitztum zu verpfänden. Es gelang ihm schließlich, wegen der Pferde die Vermittelung seines Landesherrn des Kurfürsten Joachim von Brandenburg zu erlangen. Auf dessen Vorstellungen hin wurde von der kursächsischen Behörde am 13. Mai 1533 Düben ein Verhandlungstermin anberaumt. In diesem forderte Kohlhaas außer Wiederherstellung seiner verletzten Ehre die Erstattung des doppelten Wertes der Pferde und außerdem 10 Gulden Schadenersatz für die erlittenen geschäftlichen Nachteile. Der Junker von Zaschwitz dagegen verlangte 12 Gulden Futtergeld für ein halbes Jahr. Da man zu keiner Einigung gelangen konnte, so verwies das Gericht Kohlhaas an eine höhere Instanz. Da aber auch bei dieser sowie bei allen weiteren Verhandlungen Kohlhaas seinen Willen nicht durchsetzen konnte, so gelangte er zu der Ueberzeugung, daß man ihm sein Recht verweigern wolle und ließ sich zu einem unbedachten Schritt verleiten. Im Jahre 1534 sagte er in einem durch geschäftige Helfer überall verbreiteten Briefe dem Junker von Zaschwitz sowie dem ganzen Kursachsen die offene Fehde an, was im Lande große Bestürzung hervorrief. Als bald darauf in den Vorstädten von Wittenberg und der Umgegend mehrere Brände ausbrachen, wurden diese mit Unrecht Kohlhaas zur Last gelegt.
Seitens der kurfürstlich brandenburgischen Regierung, die Kursachsen nicht freundlich gesinnt war, wurde in Jüterbog ein Rechtstag anberaumt, auf dem die Familie des inzwischen verstorbenen Junkers von Zaschwitz verurteilt wurde, dem Kohlhaas eine angemessene Entschädigung zu zahlen.
Der Kurfürst Friedrich Johann von Sachsen aber erhob Einspruch gegen dieses Urteil. Er erklärte Kohlhaas wegen der ihm – mit Recht oder Unrecht – nachgesagten Uebeltaten für vogelfrei und setzte einen Preis von 100 Talern auf seinen Kopf aus.
Jetzt glaubte sich dieser durch keine Rücksicht mehr gebunden. Von allen Seiten strömten ihm Rechtlose und arbeitsscheues Volk zu, und bald hatte er einen großen Haufen Männer um sich versammelt, die zu allem fähig waren. Mit dieser Horde begann er seinen Rachezug und wurde durch Brandschatzung, Wegelagerei, Erpressung und Plünderung bald der Schrecken Kursachsens. Für jede Bestrafung eines seiner Spießgesellen übte er blutige Vergeltung.
In dieser allgemeinen Bestürzung unternahm es Doktor Martin Luther ihm durch ein offenes Schreiben das Gottlose und Ungesetzliche seines Tuns vor die Augen zu führen und ihn zur Ordnung zurückzurufen. Seine ernsten, mahnenden Worte blieben nicht ohne Eindruck auf den irregeleiteten Mann. Er begab sich heimlich und unerkannt nach Wittenberg, um sich vor dem Reformator, den er gleich vielen im Volke als Anwalt der Armen und Bedrückten verehrte, zu rechtfertigen. Luther war nicht wenig erstaunt, als der nächtliche Besucher sich als der gefürchtete Kohlhaas zu erkennen gab. Er hörte seine leidenschaftliche Klage zunächst ruhig mit an, dann aber wies er ihn mit der Kraft seiner eindringlichen Rede auf das Verwerfliche und Unheilvolle seiner Taten hin. Er mochte aber wohl erkannt haben, daß dem Manne unrecht geschehen war, daß in ihm trotz allem, was geschehen war, ein guter Kern schlummerte und nur erlittene Kränkung ihn auf die falsche Bahn gedrängt hatte. Darum sagte er Kohlhaas zu, sich bei dem Kurfürsten von Sachsen für ihn zu verwenden, unter der Bedingung, daß er fortan alle Gewalttaten vermeide, was dieser auch versprach.
Da aber Kohlhaas‘ Gefährten fortfuhren, neue Untaten zu verüben, so hatten die Vermittelungsversuche des Reformators keinen Erfolg.
Kohlhaas, der sich in seinen Erwartungen aufs neue getäuscht sah, wurde immer tiefer in den Strudel gerissen; er wurde immer mehr zum Räuberhauptmann, der das ver worfenste Gesindel um sich sammelte. Insbesondere war es sein Genosse Nagelschmidt, der die größten Schandtaten verübte. Die verwilderte Horde machte zuletzt keinen Unterschied mehr zwischen Freund und Feind. Sengend, raubend und plündernd schweifte sie auch ins Brandenburgische hinüber.
Bei dem nach ihrem Anführer benannten Orte Kohlhaasenbrück nahmen sie zuletzt einen von Mansfeld nach Berlin bestimmten Silbertransport hinweg, indem sie dessen Begleitung niedermachten. Der Kurfürst von Brandenburg sah sich deshalb gezwungen, aus der bisher beobachteten Zurückhaltung herauszutreten und bot seine Wehrmacht gegen die Landschädiger auf. Kohlhaas und viele seiner Genossen wurden ergriffen und er samt Nagelschmidt, dem schlimmsten seiner Spießgesellen, im Jahre 1540 in Berlin durch das Rad hingerichtet.
So endete der seltsame Mann, der durch erlittene Kränkung und ungezähmten Rachedurst sich auf die abschüssige Bahn des Verbrechens locken ließ.
In Sage und Dichtung aber lebt sein Name und die Erinnerung an seine verwegenen Taten im Volke fort.
Richard Erfurth †
aus: O du Heimatflur! vom 19.08.1925