Fläminger Platt ist fast verschwunden

Up’n Akker Äerdäppel rappen

Doch, wie jeder Dialekt, ist es ein wertvolles Kulturgut mit langer Geschichte. Diese wird im folgenden Beitrag beleuchtet. Im zweiten Teil wendet sich der Autor Beispielen zu.
„Wee woan up’n Akker Äerdäppel (Kartoffeln) rapen.“
Selbst jene, die sich der Rente nähern, können mit diesem Satz meist nicht viel anfangen. Übersetzt lautet er:
„Wir waren auf dem Acker, um Kartoffeln zu sammeln.“
Noch vor 100 Jahren wäre er in den Dörfern des Flämings verstanden worden.
Die Besiedelung der Landstriche westlich der Elbe in Mitteldeutschland, setzte mit der Gründung der Mark Brandenburg durch Albrecht den Bären 1157 ein:
Noch im selben Jahr war der Aufruf – durch Werber verbreitet – ergangen, in den eroberten Gebieten nichtslawische Bevölkerung anzusiedeln. Er wurde in der Altmark, im Harzraum, in Niedersachsen, in Westfalen und am Niederrhein erhört.
Widerhall fand er besonders in Flandern (Nordbelgien) und in den „Niederen Landen“.
Im so genannten Reichsflandern herrschte der deutsche König bzw. Kaiser, was den Aufbruch der Menschen begünstigt haben dürfte. Überschwemmungen und Sturmfluten an der Nordsee gaben nachhaltige Impulse, diese Landstriche zu verlassen. Rund 400 000 Menschen sollen im 12. und 13. Jahrhundert in Richtung Osten aufgebrochen sein. Im 15./16. Jahrhundert kam ein zweiter Schwung von Flamen in die hiesige Region.
In der neuen Heimat behielten sie ihre Mundart. Die unterschiedliche Herkunft der Neusiedler führte zu Vermengungen. Stärkstes Band blieb das Flämisch-Niederdeutsche, eine gemischte Sprache also. Das bedeutet, dass das Flämingplatt sowohl auf niederdeutsche als auch auf flämische (niederländische) Wurzeln zurückgeht. Schon zwischen benachbarten Dörfern treten Abweichungen auf. Zurück gedrängt wurde dieser Dialekt schon früh. Im 14. Jahrhundert stellten herrschaftliche und städtische Kanzleien in der Mark Brandenburg vom Niederdeutschen auf das Frühneuhochdeutsche – die mit Martin Luthers Bibelübersetzung kultivierte Sprache um. Der tiefe Einschnitt begann Ende des 19. Jahrhunderts und hat sich im späten 20. Jahrhundert vollendet.

Hauptgründe für das Verschwinden der Sprache der Fläminger waren die wachsende Mobilität der Menschen im Zuge der Industrialisierung im deutschen Einheitsstaat nach 1871 und das Vordringen des Berlinischen von Norden und des Sächsischen bzw. Hallenserischen („Lawwe“ für „Gesicht“) aus den mitteldeutschen Industriegebieten von Süden. Dazu gesellte sich die Geringschätzung des Platt als angeblich primitive Bauernsprache.

Kumm bei mich!

Im Niederländischen sind die Wurzeln des hiesigen Dialekts zu erkennen, wie der Autor im nunmehr zweiten und letzten Teil seines Beitrags aufzeigt:
Günter Koppehele erinnert in seinem 2012 erschienenen Wörterbuch „Die Flämingische Sprache“ unter Rückgriff auf Käte Taubitz daran, dass sich noch während des Ersten Weltkrieges aus dem Fläming stammende Soldaten in Flandern mit den ortsansässigen flämisch sprechenden Bewohnern recht gut verständigen konnten. Am hartnäckigsten – und nicht selten belächelt – hat sich aus dem Flämischen bis heute gehalten, dass für die persönlichen Fürwörter „mir“ und „mich“ nur das „mich“ genommen wird:
„Kumm bei mich!“ heißt es dann hier und im Niederländischen zum Vergleich „Kom bij mij!“, denn dort gibt es für „mir“ und „mich“ (ähnlich bei „dir“ und „dich“) nur ein Wort „mij“.
Deshalb auch „Ich komme bei Dich“, denn geht man im Niederländischen zu jemandem oder auch zu etwas, nutzt man „bij“, das in der Aussprache an das deutsche „bei“ erinnert.
Dass es im Flämingplatt mit den Fällen oft nicht klappt, weil die flämischen Vorfahren prägend sind, zeigt sich vielfach.
Statt „dem Lamm folgen“ heißt es „das Lamm folgen“ (niederländisch: „het lam volgen“),
„der Kuh folgen“ heißt „die Kuh folgen“
(niederländisch: „de koe volgen“).
Charakteristisch sind Lautverschiebungen, die man bis heute hört. Die hochdeutsche Endung „pf“ findet sich im Flämingplatt nur als
„p“ oder „pp“.
Holland lässt grüßen.
„Kampf“ (hochdeutsch) – „Kamp“ (flämingisch),
„Kopf“„Kop(p)“,
„Dampf“ – „Damp“,
„Apfel“„Appel“ seien als Beispiele genannt.

Eine andere Lautverschiebung ist die Verwandlung von „ei“ zu „ee“. Beispiele sind
„kein“„keen“,
„Stein“„Steen“ oder
„Fleisch“„Fleesch“.
Im Niederländischen wird „g“ häufig wie ein „ch“ ausgesprochen. Von diesem „ch“ ist es nur ein kleiner Schritt bis zum Flämiger „j“.
So wie in „Galopp“, Niederländisch „galop“ (gesprochen „chalop“) und Flämingisch „Jalopp“.
Es gibt aber auch Lautverschiebungen, die das ursprüngliche Fläminger Platt nicht mitgemacht hat.
So behält das Fläminger Platt das Niederländische „oo“ bei,
wo das Hochdeutsche das „au“ setzt: „Traum“ wird „Drom“.

Final noch Beispiele für manches, was von den Flamen überkommen ist. Für sie ist das Handtuch (handdoek) männlich, und daher hört man in der Region manchmal noch der Handtuch.
Meldet sich der Magen eines Babys, macht es ein „Bäuerchen“ vom Niederländischen „boer“ (Bauer).
Geht ein Junge Wasser lassen, heißt es mitunter „lullern“,
von „lul“, der zweifelhaften niederländischen Bezeichnung für Penis. Auch in diesem Sinne ist das Fläminger Platt also ein Drom.

Lothar Schröter

aus: Mitteldeutsche Zeitung vom 12.06.2013