Der Höhenzug Fläming, der unsere Provinz Sachsen nach Norden hin begrenzt, ist ein überaus eigenartiges Gebilde des norddeutschen Tieflandes. In bezug auf landschaftliche Reize ist er freilich von jeher übel beleumundet, aber mit Unrecht. Wer sich nur damit begnügt, ihn mit der Eisenbahn oder im Auto zu durcheilen, dem offenbart sich nichts von seiner charakteristischen Schönheit, wohl aber jedem, der seine weit ausgedehnten Wälder, seine stillen Täler und seine schluchtartigen wildzerrissenen Rummeln
durchwandert und in seinen friedlichen, von Obsthainen und wohlbebauten Feldern umgebenen Dörfern Einkehr hält. Es leuchtet ohne weiteres ein, daß der Fläming nicht in der gleichen Weise wie etwa ein Hochgebirge oder auch nur wie gewisse Mittelgebirge den Gang der Geschichte beeinflussen konnte.
Dаzu fehlen ihm die notwendigen Vorbedingungen.
Es muß jedoch darauf hingewiesen werden, daß für den Norden unseres Vaterlandes nicht das Hohe, sondern das Tiefe charakteristisch und maßgebend ist, auch in bezug auf die geschichtlichen Ereignisse.
Von bestimmendem Einfluß beim Vordringen deutscher Kultur
war einmal das weite Elbtal, das im Bogen den Fläming umfaßt,
und zum andern die mächtige Niederung nördlich des Plateaus,
in welcher sich die Täler der alten Urströme vereinigen.
Mit ihren ausgedehnten Mooren, ihrem dichten, undurchdringlichen Buschwerk boten sie den Slawen im Osten einen sicheren Schutz gegen das unaufhörlich vordringende Germanentum, als das unter Umständen hohe Gebirgswälle vermochten. Man muß dieses um so mehr festhalten, da durch unermüdlichen Menschenfleiß in jahrhundertelangem zähen Ringen und mit unermeßlichen Opfern an Geld und Kraft gerade jene Gebiete in fruchtbare, blühende Landschaften umgewandelt worden sind, die den ursprünglichen, den Gang der Geschichte beeinflussenden Charakter dieses Gebiets nur noch schwer erkennen lassen. Und den gleichen Charakter trug das heutige Elster-Elbtal. Noch heute treffen wir in ihm trotz der Regulierungen eine Menge von alten Verzweigungen, die in früherer Zeit noch umfangreicher waren und ein weites Sumpf- und Bruchgebiet er zeugten.
Hierzu gesellt sich im Elbtal noch ein orographisches Element, welches die geschichtliche Bewegung beeinflussen mußte:
der Südfuß des Flämings, der dicht an das Elbtal herantritt, erhebt sich im Durchschnitt auf 60 bis 70 Meter, erreicht im Apollensberge bei Wittenberg sogar 122 Meter und bildet an vielen Stellen, wie bei Griebo, Coswig, Roßlau u.a., mächtige Steilufer.
Diese Umstände machen es verständlich, daß der im allgemeinen west-östlich gerichtete Germanisationsstrom sich auf dem
Fläming in eine Anzahl von kleineren Adern auflöste, deren Lauf
in süd-nördlicher Richtung über den Fläming in das genannte große Sumpf und Moorgebiet zielte, wobei die Lage des Flämings zum Elblauf als richtunggebend zu betrachten ist. Zunächst mußte die Saale-Elblinie durch Jahrhunderte hindurch die Kultur- und Völkerscheide zwischen Germanen und Slawen bilden und Magdeburg als Elb-Bollwerk zu voller Stärke emporwachsen,
ehe die Germanisation über die Saale setzen und das mittlere Elbtal erreichen konnte. Nachdem auch im Süden des Flämings auf linkselbischem Gebiet das Deutschtum erstarkt war, erstarkt war, konnte mit Beginn des 12. Jahrhunderts die Kolonisation festen Fuß auf dem Flämingsplateau fassen, um endlich die eingangs erwähnten Urstromrinnen zu erreichen.
Wir müssen hierbei einen scharfen Unterschied machen zwischen den in früheren Jahrhunderten stattgefundenen Eroberungszügen, die eine bloße Unterwerfungsmethode darstellen, und der seit dem 12. Jahrhundert einsetzenden, allmählich weiter schreitenden, wie ein Sauerteig wirkenden Germanisierung und Kolonisierung, die das von den Slawen besetzte Gebiet sicherer und dauernder der Kultur und dem Christentum gewann, als die Gewaltpolitik eines
Heinrichs I., Ottos I., Heinrich des Löwen u. a., die den Slawen das Christentum mit der Schwert einimpfen wollte und eben deshalb keine dauernden Erfolge erzielte.
Daraus erklärt es sich, daß bis zum Beginn des 12. Jahrhunderts
in der Kolonisation des Ostens keine größeren Fortschritte erzielt wurden, als daß das Germanentum die schwächere Saale-Linie überschritt und bis zur Elbe-Elster-Niederung vordrang, die den Slawen aus den angeführten Gründen stärkeren Schutz bot und
sie zu langdauerndem Widerstande befähigte.
„Zwei Jahrhundert“, so schreibt August Meitzen,
„wütete an den Ufern der Elbe ein selten auf lange unterbrochener, durch die Einführung des Christentums verschärfter Kampf um die wenig mehr als nominelle Anerkennung der deutschen Oberhoheit.“
Im wesentlichen wurde durch diese wechselvollen und verlustreichen Kämpfe nur die Elblinie als Grenze gesichert;
über sie hinaus reichte wohl der deutsche Einfluß, aber nicht auf
die Dauer die deutsche Herrschaft. Mit Blut und Eisen läßt sich
eben ein Volk, das ganz anders geartet ist, und eine andere Kultur und Religion besitzt, auf die Dauer nicht zwingen.
Erst als das deutsche Volk mehr und mehr erstarkte und in einer stetig wachsenden Bevölkerung überschüssige Kräfte abgeben konnte, da erlangte die vordringende Germanisationsflut größere Macht, sodaß ein ständiges Zurückdrängen des Slawentums erzielt werden konnte, wobei die Art, das Christenstum vorzuleben, mehr erreichte als der Fanatismus, der es aufzudrängen versuchte.
Von den slawischen Volksstämmen, die bereits gegen Ende des
6. Jahrhunderts bis zur Saale vorgedrungen waren, kommen für
den Fläming nur die Sorben in Betracht. Der Anfang zur durchgreifen den Germanisation des von ihnen bewohnten Flämingsgebiets ging von Magdeburg aus, das im Laufe der Zeit sich zu einer mächtigen Stadt entwickelt hatte, die nach Ausdehnung ihrer Grenzen und ihres Machtbereichs strebte.
Norbert, der 1126 bis 1134 als Erzbischof von Magdeburg genannt wird, schuf sich durch Gründung des Prämonstratenserordens mutige Pioniere, die in unermüdlicher Arbeit Christentum und deutsche Kultur in das Gebiet rechts der Elbe trugen.
Aber auch von anderer Seite wurde das Deutschtum immer
weiter in das Flamingsgebiet getragen. Ritter von angesehenem Adel, meist waren es die jüngeren, daheim durch die Erbfolge vom Grundbesitz ausgeschlossenen Söhne, welche die Aussicht auf Landerwerb anlockte drangen mit ihrer Gefolgschaft selbständig an der Elblinie vor und wurden seßhaft in den alten slawischen Burgen, welche die Stützpunkte für die weitere Germanisation bildeten.
Von Südwesten kamen die Grafen von Askanien, vor allem Graf Otto, der im alten Slawengau Zerwisti Coswig und seine Umgebung eroberte und germanisierte. Bald drang auch von Osten aus das Deutschtum unwiderstehlich über die Elbe vor. Von der schon früher gewonnenen Lausitzer Mark aus unterwarf sich Albrecht
der Bär, der Sohn des vorgenannten Grafen Otto, den Rest des Gaues Zerwisti mit Wittenberg und seiner Umgebung.
Im Jahre 1146 unternahm Markgraf Konrad von seinem Hauptsitz Meißen aus einen Kreuzzug ins heidnische Slawenland und brachte die Herrschaft Dahme in deutschen Besitz, während gleichzeitig der Ritter von Schlieben in Baruth einen Burgward errichtete.
Auf diese Weise drang germanische Kultur vom Elbtal aus immer weiter auf dem Flämingsplateau vor. Bald konnte auch das den Fläming nordwärts begrenzende ausgedehnte sumpfige Niederungsgebiet den Slawen keinen Schutz gegen das anstürmende Deutschtum mehr gewähren.
Von entscheidender Bedeutung hierbei war es,
daß 1134 Lothar von Sachsen dem Grafen Albrecht dem Bären
die Nordmark zum Lehen gab. So wurde diesem tatkräftigen Askaniersproß im rechtselbischen Gebiet ein umfangreiches
Feld für seine Arbeit gegeben, der er seine ganze Kraft widmete. Hierbei fand er in dem klugen Erzbischof Wichmann von Magdeburg einen Bundesgenossen, der ihm half, die rechten Hilfsmittel und Methoden bei der Kolonisierung des slawischen Ostens anzuwenden, so daß er darin Erfolge erzielte, wie kein anderer Fürst seiner Zeit.
Seine Tätigkeit in der Nordmark begann er damit, daß er die letzten links der Elbe gelegenen slawischen Gebiete fest an seinen Besitz angliederte. Dann richtete er seine Aufmerksamkeit aus das Land zwischen Elbe und Havel, wo das Slawentum in den Brüchen und Sümpfen noch einen natürlichen Stützpunkt besaß. Durch Einnahme der slawischen Feste Brennabor schuf er einen festen Kern, an den er den neuen Besitz angliedern konnte.
Albrecht der Bär aber erkannte sehr wohl, daß die bloße kriegerische Eroberung nicht imstande war, eine dauernde Herrschaft auszurichten, deshalb ließ er dieser die kolonisatorische auf dem Fuße folgen. Darum gab er seinen Kriegern im eroberten Slawenlande Landbesitz gegen Entrichtung eines mäßigen Jahreszinses, und seinen Rittern überließ er die slawischen Burgen. Der slawische Adel, soweit er sich mit den neugeschaffenen Verhältnissen abfand, wurde mit den gleichen Rechten und Pflichten im Lande geduldet. Aber der weitschauende Fürst ging noch weiter. Aus den Niederlanden und vom Niederrhein rief er Kolonisten herbei, die mit der in der Heimat erworbenen Geschicklichkeit und Erfahrung trefflich verstanden, weite Sumpfgebiete für den Ackerbau zu gewinnen, Wälder auszuroden und neue Gewerbe einzuführen. Das Andenken an diese niederländischen Ansiedler, die Fläminger, wie sie nach der Provinz Flamland allgemein genannt wurden, hält unser Höhenzug in seinem Namen dankbar fest. Bald vollzogen sich auch Mischungen zwischen den Eingewanderten und der zurückgebliebenen slawischen Bevölkerung, wobei langsam, aber stetig das leztere Element zugunsten einer neuen Rasse aufgesogen wurde, die sich aber kerndeutsch fühlte.
Während so Albrechts des Bären verständnisvolle Kolonisierung langsam von Nordwesten und Westen zu der nördlich des Fläming gelegenen Niederung fortschritt, blieb diese auch auf dem Plateau nicht stehen, sondern schritt in nördlicher Richtung über dieses hinaus. Vor allem war es hier der schon genannte Erzbischof Wichmann von Magdeburg, der auf dem Fläming in gleicher Weise tätig war wie Albrecht. In demselben Jahre, in welchem Albrecht die Wendenfeste an der Havel bezwang, bemächtigte sich der Erzbischof des Sumpfgebietes um Jüterbog.
Am bedeutungsvollsten wurde für diesen neuen Kulturstrom die Tätigkeit der Zisterziensermönche, die 1171 bei Jüterbog das Kloster Zinna gründeten. Sehr treffend sagt A. Trinius in seinen „Märkischen Streifzügen“ von ihnen:
„Nur mit aufrichtiger Bewunderung vermag man den Spuren dieser unermüdlichen Arbeiter zu folgen, die ruhig und sicher von Etappe zu Etappe vordringend, mit jedem Jahre den Kreis ihres Schaffens und Besitzes erweiterten.
Axt und Spaten der Zisterzienser haben vielleicht in den Augen der Wenden größere Wunder bewirkt. und mehr die Herzen bezwungen, als es das ausgepflanzte Kreuzesdenkmal allein vermocht hätte.“
Für den Fläming bedeutet ihre Tätigkeit ein fortgesetztes Vordringen deutscher Kultur in das wüste Glogau-Baruther Urstromtal.
Während also hier eine von Kloster Zinna ausgehende, mit friedlichen Mitteln tätige Kulturbewegung nach Norden hin vordringt, setzt mit Beginn des 13. Jahrhunderts durch den deutschen Ritterorden im westlichen Teile des Flämings eine ähnliche von Süden nach Norden gerichtete Bewegung ein, die freilich zeitweilig kriegerischen Charakter annahm. Burggraf Bederich, der auf der Burg Belzig saß, lernte auf dem Kreuzzug mit Friedrich Barbarossa die Tätigkeit des Templer- und Johanniterordens kennen. Um diese für seine Zwecke nutzbar zu machen, schenkte er dem deutschen Ritterorden im Jahre 1227 in Dahnsdorf bei Belzig eine Kommende,
„damit das Heidentum ausgerottet werden möchte.“
So floß denn nun auch von hier aus ein Gegensstrom deutsch-christlicher Gesittung, wenn auch nicht in gleicher Kraft wie von Zinna.
Der Weg, den der deutsche Kulturstrom im rechtselbischen Gebiet nahm, ist entscheidend für das Werden und Wachsen der auf dem erworbenen Boden entstehenden Staaten geworden.
Es sind vier größere Staatengebilde, die auf dem Fläming einander entgegenwuchsen:
Von Westen her schob sich der Landbesitz des Erzbistums Magdeburg vor, von Südwesten das Gebiet des späteren Anhalt und von Süden und Südwesten her die nachmaligen Wettiner Besitzungen. Von Norden her aber trat die Mark Brandenburg heran. Zwischen diesen genannten größeren Staatengebilden entstand zwar eine Reihe kleinerer Grafschaften, die jedoch, ein Vorgang, der sich in der Geschichte immer wiederholt, von den größeren und mächtigeren Bildungen allmählich aufgesogen wurden. Dadurch, daß jene Staaten auf einander zuwuchsen, mußte mit Naturnotwendigkeit der Fläming das Berührungsgebiet zwischen ihnen werden.
So kam es, daß dem Flämingsplateau in den folgenden Jahrhunderten der Stempel eines typischen Grenzgebiets deutscher Kleinstaaten aufgedrückt wurde, und daß es den damit verbundenen Fluch ererbte, während es von den Segnungen ausgeschlossen blieb. Unter diesem Gesichtswinkel läßt sich denn auch die so wechselvolle und an Geschehnissen ungemein reiche Geschichte des Flämings in den seiner Germanisierung folgenden Jahrhunderten verstehen. Bei der Fülle des Materials ist es im Rahmen dieses Aufsatzes natürlich nicht möglich, im einzelnen alles das auszuführen, was der Gegensatz der im Fläming sich berührenden Staaten erzeugte, and welche Bedeutung dieses für sein Gebiet haben mußte.
In unseren Tagen, nachdem durch die Einverleibung des Herzogtums Magdeburg in den preußischen Staat, durch die Teilung Sachsens 1815 und die endliche deutsche Einigung von 1871 jene alten unglücklichen Verhältnisse unmöglich geworden sind,
hat man die Rolle, welche der Fläming in der Geschichte einst spielte, vergessen. Und doch trifft man auch heute noch auf zahlreiche Spuren, die an seine einstige Bedeutung gemahnen.
Trotz des Wiederaufbaues vieler alter Ortschaften gibt es im deutschen Vaterlande wohl kaum ein zweites Gebiet, in welchem die „wüsten Marken“ so zahlreich sind wie auf dem Fläming. Werden doch, um nur ein Beispiel hier anzuführen, im Kreise Zauch-Belzig auf einem Raume von nur 14,13 Quadratmeilen nicht weniger als 65 zerstörte Dorfstätten gezählt, ein redendes Zeugnis von den unheilvollen Grenzüberfällen und Grenzkriegen, deren Schauplatz dieses Plateau war. Daraus erklärt sich die Tatsache, daß die Feldfluren der Flämingsdörfer eine ganz ungewöhnliche Ausdehnung haben, und unter den Bewohnern lange Zeit hindurch eine starke Abneigung bestand, sich unmittelbar an den Verkehrswegen anzusiedeln. Und endlich wird es auch verständlich, daß Burgen wie der Rabenstein, Eisenhardt u. a., sowie Städte wie Belzig und Jüterbog eine so wichtige Rolle in der Geschichte spielen konnten, während sie heute nur noch ein verträumtes Dasein führen oder nur in armseligen Resten von ihrer ehemaligen Größe und Bedeutung Kunde geben.
Möchten diese Ausführungen mit dazu beitragen, daß die falsche Ansicht, die lange Zeit über den Fläming verbreitet war, endlich einer gerechteren Beurteilung Platz macht, und daß diesem Gebiet die jenige Würdigung zukommt, die es nicht bloß wegen seiner Stellung in der Geschichte, sondern auch als Landschaft und inbezug auf seine wirtschaftliche Bedeutung als Kornkammer Sachsens“ beanspruchen darf.
Richard Erfurth †