Seit Jahrhunderten ist man bemüht, zum Jahreswechsel seinen Mitmenschen mehr oder weniger aufrechte Glückwünsche zu übermitteln.
Manchmal ist diese Sitte zur Pflicht geworden und hat dadurch an Wert verloren. Dennoch sind wir für jeden Glückwunsch dankbar und geben ihn gern weiter. Es ist ganz natürlich, dass sich die Form und die Art der Darbringung solcher Glückwünsche im Laufe der Zeit verändert haben. Unsere heutigen Neujahrskarten sind noch gar nicht so alt wie es uns erscheint.
Am Anfang des vergangenen Jahrhunderts hat der als Schöpfer unseres hiesigen Lutherdenkmals bekannte und durch seine Berliner Bauten und Denkmäler so berühmte Bildhauer Gottfried Schadow sehr sinnreiche und künstlerische Neujahrskarten selbst gezeichnet, wobei er die entsprechende Jahreszahl aus menschlichen Figuren entwickelte. Aber die Berliner Eisengießerei fertigte Glückwunschplaketten an, die sehr beliebt waren und den Namen des Glückwünschenden trugen. Das Erbe dieser wirklich künstlerischen Arbeiten übernahm später Lauchhammer. Aber das war ja alles viel zu teuer für die Allgemeinheit. Deshalb begrüßte man um 1830 die Einführung der gedruckten Glückwunschkarten mit den kleinen Allerweltsversen. Wer noch Zeit und Laune dazu hatte, schrieb aber dennoch auf Seide zur Biedermeierzeit die sinnigen Worte:
„Für Deine Ruh, Dein Wohlergehn.
Will ich einst noch im Tode flehn.
Mein Geist noch lisple Himmelsruh
Dir, gute schöne Seele, zu!“
Na bitte, wenn das nichts war!
Besser gefällt mir denn doch unser großer Goethe mit
seinen handfesten Zeilen:
„Zum neuen Jahr Glück und Heil,
Auf Weh und Wunden gute Salbe!
Auf groben Klotz ’nen groben Keil,
Auf einen Schelmen anderthalbe!“
Einige Jahrzehnte vor ihm kamen Glückwünsche, die man in Blumentöpfen versteckte, auf; auch sandte man Damenstrumpfbänder mit Glückwünschen an die Geliebte.
Huch, wie neckisch! Damals verzapfte ein ganz kecker Jüngling folgenden Vers:
„Ein Tanz ist unser ganzes Leben.
O möchte Sie, mein Fräulein,
nur für diesen Tanz die Hand mir geben —
Und wär´s auch nur ’ne Extratour!“
Natürlich spielte auch die Magenfrage eine gewichtige Rolle mit. Deshalb erwähne ich noch ein kleines Gedicht zum Jahreswechsel aus dem Erzgebirge, das u.a. folgende Zeilen hatte:
„Ein Häuschen von Zucker, von Zimmet die Tür,
Der Riegel von Bratwurst, das wünsche ich Dir!“
Seit alters her war es und eine Pflicht der Bediensteten, der „Herrschaft“, ihre Glückwünsche zu übermitteln. Mancher wollte dabei etwas Besonderes vortragen und alle schönen Worte in Reime fassen. Dabei zeigte sich nun stets die große Bildungslücke, die diese Menschen damals hatten und die ihnen durch das schlechte Schulwesen auf dem Lande erhalten wurde. Verfasst werden sie manchen Glückwunsch wohl haben, geschrieben haben sie ihn aber bestimmt nicht selbst, wenn man ihn heute betrachtet.
Da man an einem solchen Neujahrstage ja nicht jedes Wort auf die Goldwaage legte, machten sich die Untertanen oft ihrem Herzen Luft und brachten versteckt einige Hinweise auf Verbesserung dieser oder jener Missstände an.
So beugte ein Schweinehirt etwas vor, als er seinen Spruch aufsagte:
„Horch, horch, hörschter,
Hängen drei Bratwörschter,
Gib mir die langen,
Lass die kurzen hangen,
Gib mir ’nen Schweinekopf,
Ist besser wie ’ne Bratwurst,
Ein Stückchen Speck,
Geh ick bald wieder weg,
Gebt mir ’ne Ende Schnüre,
Die Mächen liegen gern auf die Mure (Ofenbank)
Gebt mir ’n Ende Schmehl (Schwefel),
Gebt mir ’n Glas Bier
Ander Jahr um die Zeit,
bin ick wieder hier.“
Eine andere Art der Glückwunschüberbringung hatten die Küster
in und um Wittenberg, die gedruckte Zettel an ihre Freunde gaben und dafür ein Neujahrsgeschenk erhielten. Diese Zettel enthielten Angaben über Geburten, Hochzeiten und Sterbefälle im vergangenen Jahr und immer ein kleines Neujahrsgedicht. Schallenberg fand vor Jahrzehnten im hiesigen Pfarrkirchenarchiv das älteste Gedicht aus dem Dreißigjährigen Krieg (Neujahr 1636). Der Verfasser oder Küster ist nicht bekannt.
Eine lateinische Zeile daraus lautet auf Deutsch:
„Dein Leben ist dein Weg;
Wenn du gut lebst,
wird es dir gut gehn.“
In den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts kamen dann in
den größeren Städten schon fertige, handgeschriebene Glückwunschgedichte auf. Man setzte nur seinen Namen darunter und ging damit zum Brotgeber, um von ihm das Neujahrsgeschenk zu empfangen.
In Berlin konnte man damals 16 verschiedene Gedichte für einen Taler bekommen.
Auch in Wittenberg waren diese Gedichte bekannt.
So benutzte auch die Johanna Louisa Schwartzin im Jahre 1787 einen Handzettel, den F. R. geschrieben hatte und ging damit
zum „gnädigen Herrn“. Dieser vor mir liegende und auf Folio
schön geschriebene Glückwunsch drückte folgende Gefühle
der Schwartzin aus:
Neu-Jahr- Wunsch
„Zum neuen Jahr wünsch ich sie allein
Kunfack (?) und den besten Wein
von den Musel und den Rein,
Palmen-Säck und andere sorten
Zuckerbrodt und Mandeldorten,
Thee u. Coffee spät u. früh,
Kalbfleisch mit Citronenbrüh,
groß und klein Rosinen dran,
Schneppen, Räphüner u. Fassanen, Gurkenkraut
und Krautsallat, Rüben, Schoten und Spennat,
Rüpgen, Murgeln u. Erdschocken,
Klößgen von den Semmelflocken,
Weißbrot, Reiß u. Mandelmus,
einen gebratenen Kälberfuß,
Hirsche, Hasen, Reh u. Schwein,
Gänse, Hüner, groß und klein,
Sauerkraut und Leberwurst,
Weiß- und Braunbier vor den Durst,
Hechte, Schmerl und Sotellen,
Karpen, Lackse u. Forellen,
und war noch mehr von andern Fleisch u. Fisch,
Wünsch ich sie gesund und frisch,
alle Tage zu genießen,
bis das Hundert Jahr verfließen,
keine Arbeit, lauter Ruh
und einen artgen Schatz darzu,
nichts von Sorgen dieser Welt,
einen gantzen Kornsack voll Geld,
Häuser, Gärten ohne Zahl,
nichts von Noth und anderer Quaal,
sollte was vergessen seyn
(Jetzt schrieb eine andere Hand noch
folgenden Satz ein:)
Sänfte, Kutschen, Pferdt und Wagen,
so zum Fahren als zum Tragen
(und dann ging es weiter:)
ey, so schliß ichs noch mit ein,
ich wünsche sie alle einen gesunden Leib,
und dabey ein frommes Weib,
nun so wünsche ich Tisch u. Bänke,
Kisten, Kasten, Kleiderschränke,
sie zum Neuen Jahr Geschenke.
Johanna Louisa Schwartzin, 1787.“
Da war doch der einzige Wittenberger Briefträger
des Jahres 1831 schon weiter, als er gedruckte Zettel mit den Ankunft- und Abfahrtszeiten der hiesigen Posten verteilte.
Am Anfang steht aber ein ebenfalls uns erhaltener Glückwunsch, den er „seinen hohen Gönnern gehorsamst“ überreichte.
E.G. Baumgart hieß dieser Postbote, der bei seinem niedrigen Einkommen in einem der acht Verse schon durch die Blume sagte:
„Ich weiß es, Sie verschmähn sie nicht,
Ob auch die Hand kein Siegel bricht,
Das Porto wird mir doch zu Theil,
Und dafür wünsch ich Glück und Heil!“
Sie alle erhielten ihr Neujahrgeschenk.
In älterer Zeit wurde dabei gleichzeitig ein mächtiger Spektakel gemacht, um die bösen Geister zu vertreiben.
Dafür erhalten dann die Beglückwünschten sich durch Lösegeld loszukaufen, das war dann das spätere Neujahrsgeschenk.
Ähnliches finden wir in der Volkskunde bei den Heischegängen
und bei uns war das frühere Aschekehren ja auch damit in Verbindung zu bringen.
Wir wissen aber, dass es mit Glückwünschen allein nicht getan ist, sondern dass uns nur unsere tägliche Arbeit und die Pflichterfüllung voranbringen kann.
Die Worte Ludwig Unlands aus dem Jahre 1817 haben auch für uns heutige Menschen Bedeutung:
„Denn soll der Mensch im Leibe leben,
so brauchet er sein tägliches Brot.
Und soll er sich zum Geist erheben,
so tut ihm seine Freiheit not!“
überarbeitet: Elke Hurdelbrink