Wehende Fahnen, Laubgewinde und Blumen, Feststimmung in den Häusern, Feststimmung in den Herzen unserer Bürgerschaft, die sich wieder spiegelt in erwartungsvollen, freudigen Gesichtern:
das sind die Kennzeichen für die Jubelfeier unseres Infanterie-Regiments Nr. 20.
Und wie könnte es auch anders sein!
Wittenberg und seine 20er, sie gehören eng zusammen.
Von dem Tage an, wo im Jahre 1868 die ersten zwei Bataillone des Regiments die Lutherstadt Wittenberg als Garnison bezogen, haben sich die 20er einen Platz im Herzen unserer Bewohner erobert und ihn behalten in Freud und Leid, und er wird ihnen auch in der Zukunft gesichert bleiben.
Stark und zahlreich sind die Bande, welche die ehemaligen wie die jetzigen Angehörigen des Regiments an unsere alte Lutherstadt fesseln. Diese Bande hat die Zeit nicht gelockert, wohl aber immer fester und inniger gestaltet.
An allen Ereignissen im 20. Infanterie Regiment, seien sie freudiger oder ernster Art hat Wittenbergs Bürgerschaft von jeher den innigsten Anteil genommen.
Wir erinnern nur an den Ausmarsch des Regiments in den Kampf mit Frankreich, im Jahre 1870, an die Feier seiner Sieges- und Ehrentage, an den festlichen Empfang nach seiner Rückkehr aus Feindesland ua..
Und wer noch Zweifel hegen sollte über das der 20ern und unseren Einwohnern, der braucht nur eine der Kompagnie Feiern über das herzliche Verhältnis zwischen den zu Kaisers Geburtstag und bei anderen festlichen Gelegenheiten zu besuchen und er wird sehen, welchen innigen Anteil die Bürgerschaft an den Freuden seiner 20 er nimmt.
Pflegt doch die Beteiligung aus allen Kreisen der Stadt stets so zahlreich zu sein, daß kaum noch ein Plätzchen im Festsaale übrig bleibt. Dieses innige Verhältnis zwischen Bürgerschaft und Regiment machen es erklärlich, daß zwischen beiden niemals ernstliche Differenzen entstanden sind.
Und wenn schon einmal eine Störung drohte, so wurde sie durch beiderseitiges Entgegenkommen rasch beseitigt, daß keinerlei Trübung zurückblieb.
Vor hundert Jahren, in einer Zeit, die ihresgleichen nicht in der Weltgeschichte hat, in einer Zeit der vaterländischen Not und des deutschen Ringens wurde das Regiment gebildet, durch Zeiten der Not, in Kampf und in Gefahr ist es gehärtet worden und hat in jeder Lage sich als ein Vorbild aller soldatischen Tugenden bewährt; mit unerschütterlicher Tapferkeit ist es allzeit für König und Vaterland eingestanden mit jener Treue, die durch den Tod besiegelt und geadelt wird.
Die Tage von Spichern, Vionville, Coulomiers, Le Mans usw. sind allzeit leuchtende Ruhmessterne in der Geschichte des Regiments.
Und das dieser Heldenmut auch in der Gegenwart noch in diesem fortlebt, das lehrt das Beispiel derer, die freiwillig auf ihres Kaisers Ruf hinaus zogen in die Kämpfe in China und Südwestafrika und dort unter den schwierigsten Verhältnissen den alten Ruhm des 20. Infanterie-Regiments bewährten.
Wie sehr aber König und Vaterland die Verdienste des braven Regiments zu schätzen wußten, das zeigt sich jetzt in den zahlreichen Auszeichnungen, welche seinen Offizieren und Mannschaften verliehen worden sind. Mit berechtigtem Stolze kann darum das Regiment bei der der hundertjährigen Jubelfeier auf auf seine Vergangenheit zurückblicken.
Tausende von ehemaligen 20ern kommen, um im trauten Kreise der Kameraden den Jubel und Freudentag ihres alten lieben Regiments zu feiern.
All den lieben Gästen öffnet Wittenberg weit die Häuser und die Herzen. Die Bürgerschaft und städtischen Behörden haben alles getan, um alle würdig zu empfangen und ihnen den Aufenthalt hier sο angenehm wie möglich zu machen.
Wenn dann die Festtage verrauscht sind und die lieben Gäste uns wieder verlassen, mögen sie die Überzeugung mit sich fortnehmen: Wittenberg ist im Laufe der Zeit größer und auch schöner geworden, aber eins ist gleich geblieben:
die Liebe und Anhänglichkeit der Bürger an ihre 20er und ihre schon oft bewährte Gastfreundschaft.
Unserem Infanterie-Regiment Nr. 20 aber drücken wir zu seinem Jubelfeste die innigsten Glück- und Segenswünsche aus.
Möge es sich auch in der Zukunft als ein Hort aller Soldatentugenden bewähren und möge ihm auch in der Friedensarbeit stets Erfolg und Anerkennung beschieden sein. Wenn aber dereinst in der Stunde der Gefahr der Kaiser seine alten und jungen 20er zum Kampfe rufen wird, dann werden diese – des sind wir gewiß – mit gleicher Begeisterung und dem gleichen Heldenmute wie einst diesem Rufe folgen, getreu der alten Preußenlosung und Helmzier:
„Mit Gott für König und Vaterland!“
Möge dann neuer Sieg und neuer Ruhm ihren Fahnen beschieden sein. In diesem Sinn und Geist rufen wir allen zu:
Herzlich willkommen in der Lutherstadt!
Richard Erfurth †
***
Aus der Geschichte des Infanterie-Regiments Nr. 20.
Unser Regiment ist aus dem im Jahre 1813 gebildeten 8. Reserve-Regiment hervorgegangen.
Eine Allerhöchste Kabinetts-Ordre vom 1. Februar 1813 hatte bestimmt, daß jedes alte Grenadier-, Musketier- und Füsilier- Bataillon einen Stamm zur Bildung eines neuen Bataillons abgeben sollte, dessen Reihen durch Einziehung von sogenannten Krümpern vervollständigt wurden.
Schon vor der vollständigen Ausbildung dieser Bataillone wurde ein Teil zur Belagerung der vom Feinde besetzten Festung Stettin herangezogen.
Durch eine Kabinetts-Ordre vom 1. Juli 1813 wurden das II. Reservebataillon des 1. Pommerschen; Infanterie-Regiments unter Major v. Budritzky (später I. Bat.), das III. Reservebataillon desselben Regiments unter Major v. Funck (später II. Bat.) und das III. Reservebataillon des Kolbergschen-Infanterie Regiments unter Major v. Röbel (später Füsilier-Bat.)
als 8. Reserve-Infanterie-Regiment
unter Major v. Natzmer zusammengezogen und dieses dem IV. Armeekorps (Graf Tauentzien) zugeteilt. Das Korps gehörte im Kriege gegen Napoleon I. zur sogenannten Nord-Armee.
Das Regiment trat zur Division des Generals v. Dobschütz, die zur Belagerung von Wittenberg bestimmt war.
Der Feind hatte außerhalb des Hauptwalles noch einige wichtige Punkte besetzt, die Teile des Regiments nahmen.
In der Nacht vom 1. zum 2. Dezember gelang es dem Hauptmann v. Brösicke mit 50 Füsilieren eine Ziegelei vor dem Schloßtore in Besitz zu nehmen, während Premierleutnant v. Gagern mit der 1. Kompagnie das Wirtshaus „Zur weißen Kanne“ vor dem Elstertore überrumpelte.
Ein Krankenhaus vor dem Schloßtore eroberte am Neujahrstage 1814 Hauptmann v. Wegierski mit seiner 7. Kompagnie.
In der Nacht vom 12. zum 13. Januar wurde Wittenberg gestürmt, wobei unser Regiment 3 Offiziere tot, 4 verwundet verlor.
Der Verlust an Mannschaften kann nicht mehr festgestellt werden. Vorübergehend zum Einschließungskorps von Magdeburg gehörig, erhielt das Regiment im April 1814 die Bundesfestung Mainz als Garnison, wo ihm die Bezeichnung
20. Infanterie-Regiment
beigelegt wurde. Die Bataillone trugen von jetzt ab blaue Röcke mit roten Kragen, weißen Patten und Schulterklappen, graue Tuchhosen und schwarze Tschakos.
Bei der Zuteilung zum III. Armeekorps (v. Thielemann) wurden gelbe Schulterklappen angelegt.
Nach der Rückkehr Napoleons von Elba blieb das Regiment zunächst in Mainz und wurde im Sommer 1815 zur Belagerung von Landau herangezogen, das Füsilier-Bataillon eine Zeitlang zur Einschließung von Bitsch.
Infolge einer Kabinetts Ordre vom 13. Juni erhielt das Regiment im Lager von Landau seine Fahnen.
Vorübergehend in Trier, Saarlouis und Saarbrücken in Garnison, bildeten die 20er eine Reihe von Jahren einen Teil der Besatzung von Luxemburg.
Seit dem Jahre 1816 trägt das Regiment rote Achselklappen und führt den Namen:
20. Infanterie-Regiment (3. Brandenburgisches).
Später verlor es die Provinzialbezeichnung wieder.
Vom Jahre 1817 an wurde es auf drei Jahre dem in Frankreich zurückgelassenen Oberservationskorps zugeteilt. Nach der Rückkehr aus Frankreich wurde Torgau die Garnison der beiden Musketierbataillone, Brandenburg die der Füsiliere.
Im Jahre 1823 erhielt das Regiment zum Chef den General Graf Tauentzien von Wittenberg, der aber bereits im folgenden Jahre starb.
Kommandierender General des III. Armeekorps wurde am 22. März 1824 Prinz Wilhelm, unserer späterer Kaiser Wilhelm 1.
Infolge Verlegung des IV. Armeekorps an den Rhein besetzten im Jahre 1830 Teile des III. Armeekorps die Garnisonen des erstgenannten Korps, die 20er bis 1832 Erfurt.
1840, am 7. Juni, starb der hohe Stifter des Regiments, König Friedrich Wilhelm III.; ihm folgte König Friedrich Wilhelm IV.
Am 28. März 1848 erhielt das Regiment den Befehl, an dem Feldzuge gegen die Dänen teilzunehmen, die ihre Truppen bereits bis zur Grenze Holsteins vorgeschoben hatten.
Bald finden wir unsere 20er auf Vorposten am Eiderkanal. In der Schlacht bei Schleswig am 23. April nehmen unsere Füsiliere am Sturm auf das Dannewerk teil, die beiden anderen Bataillone besetzten das am Fuße desselben belegene Dorf Husby.
20 Mann tot, 1 Offizier, 47 Mann verwundet waren für unser Regiment die Opfer des Tages.
Am 5. Juni kam es zur Schlacht bei Düppel Das Füsilier-Bataillon drang in Wester-Düppel ein und behauptete es stundenlang gegen die wiederholten Angriffe der Dänen.
Das 1. Bataillon hatte während der Schlacht eine Reservestellung bei Satrup, das II. eine solche bei Rackebüll und Surlicke.
Verluste des Regiments:
2 Offiziere, 12 Mann tot, 3 Offiziere, 40 Mann verwundet.
Nach der Ablösung durch Gardetruppen gings nach der Heimat zurück, nach Brandenburg und Genthin, später nach Küstrin, Guben und Frankfurt a. D.
Zur Unterdrückung von Unruhen wurden das II. und Füsilier-Bataillon längere Zeit nach Liegnitz gesandt. Am 6. Mai des folgenden Jahres traf der Befehl zum Einrücken in Sachsen ein, wo preußische Hilfe gegen die Aufständischen nötig geworden war.
Als die im Großherzogtum Baden und in der Rheinpfalz ausgebrochenen Unruhen ebenfalls das Einschreiten preußischer Truppen notwendig machten, trat unser Regiment in den Reihen der Division Holleben den Marsch nach Frankfurt a. M. an und kam darauf zur Rhein-Armee, die unter dem Oberbefehl des Prinzen von Preußen stand.
Am 29. Juni beteiligte sich das I. Bataillon nach Beendigung des eigentlichen Gefechts am Federbach an einem Nachhutsgefecht, bei der Einschließung und Belagerung der Festung Rastatt hatten die 20er Vorpostenstellungen im Niederbuhler und Iffezheimer Walde. Einen Ausfall der Insurgenten am 8. Juli schlugen das II. Bataillon und Teile des Füsilier-Bataillons zurück. Unsere 20er verloren dabei:
8 Mann tot, 3 Offiziere und 43 Mann verwundet.
Mit dem Falle der Festung Rastatt war der Aufstand vorüber, es blieb aber noch eine militärische Besetzung des Großherzogtums Baden erforderlich.
Während dieser Zeit lag das 20. Regiment bis zum Jahre 1851 in Rastatt, Freiburg, Altbreisach und anderen kleinen Orten in Garnison.
Am 10. Januar kehrten das I. und Füsilier-Bataillon nach Brandenburg, das II. am 11. nach Genthin zurück.
Im Februar wurden die beiden Musketier-Bataillone nach Torgau verlegt. Infolge eines Krieges zwischen Österreich und Frankreich wurde auch die preußische Armee mobil gemacht. Es kam aber nicht zum Kriege. Bei der Neuorganisation der Armee gaben die 20er den Stamm zum 7. Brandenburgischen Infanterie-Regiment Nr. 60 ab. Das Regiment 20 lag nun in den Garnisonen Brandenburg und Treuenbrietzen und trug jetzt die Bezeichnung:
3. Brandenburgisches Infanterie-Regiment Nr. 20.
Nachdem es noch in den genannten Garnisonen das Jahr seines 50 jährigen Bestehens gefeiert hatte, mußte es wieder aus der Heimat und seinem alten, liebgewonnenen Truppenverbande, dem III. Armeekorps, das jetzt Prinz Friedrich Karl befehligte, scheiden, da es wieder nach Luxemburg versetzt war, wo es mit dem 2. Posenschen Infanterie – Regiment Nr. 19 zur Brigade vereinigt, die Besatzung jener Bundesfestung bildete.
Am dänischen Feldzuge im Jahre 1864 nahm es nicht teil, die Mobilmachung für den Feldzug gegen Österreich 1866 traf die 20er noch in der Garnison Luxemburg.
Dem Oberst v. d. Wense war es beschieden, sie gegen den Feind zu führen. Es dauerte noch einige Wochen, ehe der Befehl eintraf, daß auch das Regiment Luxemburg verlassen könnte und sich sofort mit allen drei Bataillonen nach Wetzlar zu begeben habe.
In den Reihen der Division von Beyer kämpfte es gegen die Hannoveraner und die gegen Preußen verbundenen süddeutschen Staaten. Zunächst Märsche in furchtbarer Sonnenglut, dann wolkenbruchähnlicher Regen, ärmliche, kleine Dörfer als Nacht-quartiere, in denen man kaum 4 bis 5 Stunden rastete, so vergingen die ersten Tage des Feldzugs.
Zuerst wurde Kurhessen besetzt, dann sollten die Werra-Übergänge gesperrt werden, wo man den Durchbruch der Hannoveraner erwartete.
Nachdem diese bei Langensalza geschlagen, gings gegen das 7. und 8. deutsche Bundeskorps.
Bei Hünfeld begrüßte die erste bayrische Granate unsere 20er.
Auf dem Marsche nach Fulda traf die Nachricht vom Siege bei Königgrätz ein.
Dann kam der Marsch in der „Hohen Rhôn“ über Steile und steinige Berge, in endlosen Wäldern bei sündflutähnlichem Regen und unzureichender Verpflegung.
Am 10. Juli gerät in dem Gefecht bei Hammelburg unser Regiment in heftiges Gewehrfeuer der Bayern, in dem Hauptmann Hübner II verwundet wird. An einem Bergabhange empfängt ein Kugelregen die Kompagnien Klugmann und v. Wulffen über Steilwände und Weinterassen dringt das II. Bataillon vorwärts und wirft den Feind auf Hammelburg zurück.
Das I. Bataillon verfolgt den Feind und zieht dann in Quartiere, die in Rauch und Flammen aufgingen. Jetzt wieder Märsche quer durch den Spessart in glühender Julihitze, dann hinein in das Maintal und das Taubertal.
Der 25. Juli brachte das Gefecht bei Neubrunn und Helmstedt gegen die Bayern, in dem zuerst unsere Füsiliere ins Feuer kommen.
Im blutigen Waldgefecht warfen sie, durch das I. Bataillon unterstützt, den Feind mit Bajonett und Kolben zurück.
Bei Helmstedt schlagen Granaten in die Reihen des Regiments, im Bleihagel stirbt Leutnant Krohn den Heldentod.
Der Feind zog sich bald nach Uettingen zurück, verfolgt von unseren munteren Füsilieren. Doch plötzlich erscheint gegen Abend eine frische bayrische Division, deren Schützen unser Füsilier-Bataillon im Gehölz des Frohnberges aufhält, während die Musketiere gegen die feindlichen Batterien vorgehen und dann, nachdem diese abgefahren, sich in die linke Flanke der Bayern werfen.
Wieder kommt es zum Handgemenge, in dem der Feind 2 Hauptleute und 50 Mann als Gefangene verliert. Der Verlust der 20er im sechsstündigen Kampfe:
1 Offizier, 9 Mann tot, 3 Offiziere, 43 Mann verwundet.
Kaum graute der Tag, als feindliche Granaten in die Stellungen der Preußen einschlugen. Bald steht die Division v. Flies im heftigsten Kampfe, in den die Division v. Beyer eingreift,
Zwischen Roßbrunn und Mädelhofen stoßen unsere Füsiliere mit dem Feinde zusammen, ihr Kommandeur Major Brüggemann wird schwer verwundet, auch Premierleutnant Gerhardt der 12. Kompagnie führt blutend seine Füsiliere gegen die Schützen der Bayern, die sich in die nahen Wälder zurückziehen.
Die Verluste des Regiments betrugen 2 Tote, 5 Verwundete.
So war der Krieg gegen die Süddeutschen beendet.
Auf dem Gefechtsfelde von Helmstedt steht ein Denkmal zum Andenken an die, die für König und Vaterland den Heldentod starben.
Nach dem Kriege erhielten die beiden Musketier Bataillone Küstrin, das Füsilier-Bataillon Wrietzen als Garnison.
Im Januar 1867 wurden das Füsilier-Bataillon nach Frankfurt a. O. und im Januar 1868 die beiden Musketier Bataillone nach Wittenberg und zu gleicher Zeit die Füsiliere nach Treuenbrietzen in Garnison gelegt.
Kaum waren vier Jahre verflossen, da rief 1870 des Königs Majestät sein Heer wieder zu den Waffen.
Oberst v. Flatow führte seine 20er auf blutigem Ruhmespfade zu Sieg und Ehren.
Schon bei Saarbrücken kamen die 20er gerade noch zurecht, um die letzten Kugeln des fliehenden Feindes über ihre Köpfe fliegen zu sehen.
Eine feindliche Granate schlug dicht vor der Fahne des Füsilier-Bataillons (v. Pirch) ein, das am Abend die Vorposten auf den Spicherer Höhen bezog.
Der Feind war, wie unsere Kavallerie Divisionen meldeten, in vollem Rückzuge auf die Mosel begriffen. Die Deutschen ihm also nach. „Wenn Ihr heut und morgen noch tüchtig marschiert, könnt Ihr sie vielleicht noch kriegen!“ hatte Prinz Friedrich Karl seinen Regimentern zugerufen.
Hinweg gings also über die Mosel, 20er und 35er im Gros der 6. Division unter Generalmajor v. Rothmaler.
Der 16. August brach an. Schon am frühen Morgen wurde die Hitze recht beschwerlich, mühsam keuchten die Leute die steilen Wege unter dem feldmarschmäßigen Tornister und der Kriegschargierung dahin. Da brachten Kavallerie-Patrouillen die Meldung, der Feind stehe kaum eine Meile entfernt im Lager.
Jetzt war von Müdigkeit und Erschöpfung keine Spur mehr, frisch und gestärkt ging es vorwärts bis hinter die Höhen von Buxières, von wo man deutlich ein großes französisches Lager sehen konnte, östlich und westlich von Vionville – dieses Vionville, das bis dahin wohl keiner der 20er auch nur dem Namen nach gekannt hatte, und das von jetzt an berufen war, tausendmal genannt zu werden und in dem Gedächtnis eines jeden, der diesen Tag überlebte, unauslöschlich eingeprägt zu bleiben bis an sein Ende.
Hier bei Vionville, am 16. August, trafen die feindlichen Kugeln so sicher in die Reihen unserer 20er und schlugen vom Morgen bis zum Abende so viele nieder; ein Fahnenträger starb unter seiner Fahne, zwei Fahnen-Unteroffiziere sanken neben ihrer Fahne nieder, eine furchtbare Ernte hielt hier der Tod. Zwischen Flavigny und Rezonville riß das feindliche Blei schmerzliche Lücken in die Reihen der Füsiliere, aber im Laufschritt wird das rasende Feuer durcheilt, bald liegen schon in den ersten Minuten des Kampfes nicht weniger als 50 Tote und Verwundete auf dem Ehrenfelde, fünf Offiziere bluten für König und Vaterland.
Auch das I. Bataillon bringt bald seine Opfer; Leutnant Podratz wird schwer getroffen, Leutnant v. Lessing, der Bataillonsadjutant, im Oberschenkel schwer verwundet, eine ganze französische Brigade geht gegen unsere Musketiere vor, besonders die 3. Kompagnie leidet schwer. 17 Tote und 43 Verwundete büßt sie in kurzer Zeit ein. Leutnant Niendorf war gefallen, 2 Offiziere und der Feldwebel verwundet. Aber immer „Vorwärts“ auf das vorliegende Wäldchen und die Chaussee, Musketiere und Füsiliere der 20er, vermischt mit 35ern. Von ersteren liegen bald 19 Offiziere und gegen 300 Mann an Toten und Verwundeten auf der Wahlstatt, unter ihnen Vizefeldwebel Berg, der die Fahne der Füsiliere trug, durch die Brust geschossen. In diesem Feuer auszuhalten, war schon eine Heldentat. Auch Oberst v. Flatow und sein Adjutant, Leutnant Wegner, vergossen hier ihr Blut für ihren König.
Nun wird auch das II. Bataillon (von Steuben) vorgezogen.
Bald ist Leutnant Rodewald verwundet zu Boden gesunken, nach ihm Hauptmann Bergemann, Premierleutnant Brandt, Leutnant von Borowski, Fähnrich Nicolai, Premierleutnant Schubka und Leutnant v. Wülcknitz.
Hier hätte ein entschlossener Feind die Reihen der 20er leicht durchbrechen können. Aber in der höchsten Not eilen Bataillone des X. Korps heran, und der blutende Major von Steuben sammelt seine zusammengeschossenen Kompagnien östlich von Trouville.
Dem Bataillon fehlen 12 Offiziere, 138 Mann.
Links vom 1. Bataillon nahm die 10. Kompagnien (von Wietersheim) ein feindliches Geschütz, wobei Leutnant Stachow zu Tode getroffen wird. In demselben Augenblick eilt die 9. Kompagnie heran, bei der Leutnant Nehring in den Tod sinkt. Am Kirchhofe von Vionville stand ein Halbbataillon der Füsiliere. Im Innern des Friedhofs lagen Verwundete und Sterbende, darunter 20 Offiziere des 20. Regiments. Manch verwundeter Offizier blieb bis zum Abende im Gefecht, die Trümmer der Kompagnie lagen im Kreuzfeuer des Feindes und doch hatten sie in der Dämmerung noch Kraft genug, dem Feinde wieder auf den Leib zu rücken, auf die Gefahr der eigenen Vernichtung. Blutigrot ging die Sonne unter, ihre letzten Strahlen beleuchteten auch die Trümmer der 20er.
8 Offiziere, 14 Unteroffiziere und 140 Mann des Regiments lagen gebrochenen Auges auf dem Schlachtfelde, 34 Offiziere, 52 Unteroffiziere, 481 Mann bluteten aus ihren Wunden.
Und noch manchen der Verwundeten ereilte der Tod.
An einem Pappelwäldchen übergab man am 17. August die 8 Offiziere ohne Sarg aber in vollem Waffenschmuck der Erde.
Es waren dies:
Hauptmann von Schepke, Premiers Leutnant von Weibom und die Leutnants Nehring, Wegener II, Wasserfall, Lummé, Stachow und Niendorf.
Die Schlacht von Vionville war geschlagen; es folgten die Tage der Umlagerung von Metz, zehn mühselige lange und bange Wochen. Noch gerade zur rechten Zeit ergab sich Metz; mit fliegenden Fahnen und klingendem Spiele zogen 2 Bataillone 20er in das Fort Plappeville, vor dem sie so lange gelegen hatten.
Am Tage darauf ging es weiter nach Orleans. In der zweiten Hälfte des Monats November kam man in die Nähe des Kriegsschauplatzes, so daß auch die Sicherungsmaßregeln wieder größer werden mußten. Bei Milleurs aux bois und Neuville wurden am 24. November dem Feinde mehrere Gehöfte abgenommen, wobei Leutnant Schallehn verwundet wurde.
Bald wurden die Verluste größer. Leutnant Büttmann und Leutnant Brüggemann wurden schwer verwundet, der Junker Graf Platen-Hallermund fand den Heldentod.
Auch der Bataillonsadjutant, Leutnant Kunde, Premierleutnant Kühnast und Fähnrich von Lepell befanden sich unter den Verwundeten.
Die Leutnants Brüggemann und Püttmann gerieten, schwer verwundet, in Feindeshand und wurden erst nach langen Irrfahrten Anfang März 1871 wieder ausgeliefert.
In diesen Gefechten hatte das Regiment 26 Mann tot, 7 Offiziere und 82 Mann verwundet, verloren.
Am 3. und 4. Dezember entwickelten sich eine Menge Einzelkämpfe, die in ihrer Gesamtheit die „Schlacht bei Orleans“ erhalten haben. Es war recht kalt, ein eisiger Ostwind bestrich die kahlen Flächen. Nachdem die Höhen von Santeau genommen, und der Feind durch das urwaldige Unterholz verfolgt war, bezog das Regiment Vorposten und Biwak bei Loury, während der Nacht vom Feinde wiederholt angegriffen.
Am 4. Dezember stieß die Vorhut bei Vaumainbert auf französische Marinetruppen, die sich tapfer wehrten.
Der hier schwer verwundete Hauptmann Liedtke starb nach kurzer Zeit an seinen Wunden.
Die 6. Kompagnie (Olfenius) machte 30 Gefangene. Den 20ern kostete der Tag 15 Tote und 38 Verwundete; darunter einen Kriegsfreiwilligen Deutschmann aus Wittenberg tot.
Am 5. rückte das III. Korps in Orleans ein. Beim Marsch auf Vendôme zu säuberten 20er im Verein mit den nie versagenden 35ern den Wald von Condray, CouIommiers verteidigten Musketiere des 1. Bataillons, bei Bel Essort hatten die des II. Bataillons einen harten Kampf.
Am 15. Dezember stürmte das II. Bataillon eine Waldhöhe mit glänzender Bravour, ein Ehrentag besonders für die 5. Kompagnie (Bergemann). 46 Mann, darunter 7 Tote waren die Opfer dieses Ruhmestages.
Nun wieder Märsche. Ein Teil der Mannschaften lief fast ohne Sohlen, andere hatten die Stiefeln mit Bindfaden oder Lappen umwickelt. In Dörfern zu beiden Seiten der Straße von Orleans wurden Weihnachsfest und Neujahrsfest gefeiert. In den ersten Tagen des neuen Jahres 1871 ging es weiter an die Sarthe; bei Le Mans (11. Januar) winkte den 20ern ein neuer Siegespreis.
Zu den Schrecken des Krieges kommen die größeren Schrecken des Wetters: Regen, Schnee, Kälte, Eis, Beschwerden ohne Maß und Zahl. Von der Brigade v. Rothmaler (20er und 35er) geschlagen zu werden, meinte der feindliche Feldherr, sei keine Schande, er entschuldigte mit der Tapferkeit dieser Brigade jede verlorene Schlacht, jedes verlorene Gefecht.
Den Wald von Vendôme säuberten Hauptmann Hübner I mit der 5. und 8. Kompagnie.
Am Rande der Schlucht von La Plessis kämpften die Haupt-Leute Olfenius und Thortsen mit ihren Kompagnien, der 6. und 7. Hier wurde Hauptmann Olfenius zu Tode verwundet. Bei der Farma La Charbonnerie sinkt Leutnant von Buddenbrock tödlich verwundet nieder, Major Stocken stürmt die tapfer verteidigte Farma mit seinem I. Bataillon. Der Feind wich auf Azey zurück.
Bei der Verfolgung empfing Hauptmann Walter der 4. Kompagnie die Todeswunde. Beim Sturm auf das Dorf werden auch Major Stocken und sein Adjutant, Leutnant Schmidt von Knobelsdorf verwundet, ebenso die Leutnants Ebel und Hahn. Eine Menge Gefangene fallen in die Hände des I. Bataillons. Bei La Galette stehen der 6. Kompagnie (von Wittich) Militärsträflinge aus Algier gegenüber, tapfere, verwegene Gesellen.
Generalmajor von Rothmaler ist hier zur Stelle, er wird verwundet, neben ihm sinkt sein Adjutant tot vom Pferd. Aber Azey wird von unseren braven Musketieren genommen. 4 Offiziere, 20 Mann tot, 9 Offiziere, 61 Mann verwundet, lassen allein die beiden Musketier-Bataillone zurück. Viel Offiziere hatte das Regiment wahrlich nicht mehr zu verlieren.
Am 10. Januar lag dichter Nebel auf den schneebedeckten Feldern. In Nuillé hatte in der vergangenen Nacht das II. Bataillon ein kleines Gefecht gehabt. Die beiden anderen Bataillone der 20er waren inzwischen nach Ardenay zu abmarschiert und dann nach Changé abgebogen.
Bei einem Gefecht in der Nähe von Le Pavillon kam die 9. Kompagnie (Beck) mit dem Feinde recht ernstlich in Berührung, wobei sich Fähnrich von Ratzmer auszeichnete. Auch die anderen Kompagnien der Füsiliere müssen eingreifen.
Inzwischen kämpfte das 1. Bataillon im Handgemenge mit dem Feinde um eine Häusergruppe und nimmt die Besatzung dortselbst gefangen, das II. Bataillon wirft sich bei Changé auf den Feind.
Im Schnee, bei 8 Grad Kälte, beziehen in der folgenden Nacht die Füsiliere die Vorposten.
Der 11. Januar wurde recht blutig; es galt, den Feind aus Le Mans zu werfen. Tapfer ringt das II. Bataillon in der Höhe der Maisons blanches, die Füsiliere nehmen La Landrière im Sturm.
Eine Häusergruppe erobert Premierleutnant Bergemann mit seiner 12. Kompagnie, erleidet aber hier (bei Les Granges) ernstliche Verluste. Unmittelbar bei Les Granges ist ein Grab, in dem 8 Füsiliere ihre letzte Ruhestätte gefunden haben.
Die Stellung des Regiments wurde von einer ganzen feindlichen Division angegriffen, aber der Angriff mit Hilfe der 35er abgewiesen. Selbst vor gemeiner List schreckte der Feind nicht zurück. Ihr fällt Leutnant Witte der 5. Kompagnie zum Opfer, der das Winken mit einem Tuche als ein Zeichen der Ergebung ansieht.
In dem andauernden Feuergefecht hatten die Preußen schon schwere Verluste gehabt. Die Hauptleute von Briesen und Bergemann, Premierleutnant von Borowski, die Leutnants von Berenhorst, Döring und Hahn, die Fähnrichs Lessing und von Kahlden waren bereits verwundet.
Das II. Bataillon hatte fast keine Offiziere mehr.
Schon fehlten Patronen. In der höchsten Gefahr brachten 2 Kompagnien des 1. Bataillons in Brotbeuteln und Taschentüchern Patronen mit. Auch Major von Baumgarten schickte die 9. Kompagnie seiner Füsiliere zu Hilfe.
Das 1. Bataillon stand in Les Nogers Château, das während des ganzen Tages vom Feinde mit Granaten beworfen wurde. Das Schloß war ein wichtiger Stützpunkt für das ganze Gefecht.
Das Regiment hatte an jenem Tage folgende Verluste: 3 Offiziere, 40 Mann tot, 7 Offiziere, 96 Mann verwundet.
Am 12. morgens gegen 6 Uhr griff der Feind unsere Vorposten an. Die 6. Division stand den ganzen Tag in Gefechtsbereitschaft bei Changé, die 5. Division warf die Franzosen zurück.
Auf dem Rendezvousplatze bei Changé zählte unser 20. Regiment nur noch 15 Offiziere und wenig über 1000 Mann.
Das II. Bataillon wurde aufgelöst, die Offiziere und Mannschaften auf die anderen beiden Bataillone verteilt. Bald wurde bekannt, daß Le Mans im Laufe des Nachmittags nach hartem Kampfe vom X. Armeekorps genommen worden war.
Am 13. Januar wurde das kombinierte 1. Bataillon dazu bestimmt, am rechten Haisne-Ufer vorzugehen und das anliegende Gelände nach Versprengten abzusuchen.
Am 14. wurde das Einrücken der 11. Brigade in Le Mans befohlen, wo das Regiment bis zum 23. Januar verblieb.
Seine Majestät der Kaiser und König ehrte das Regiment mit seiner Gnade. Nach dem Feldzuge war kein Offizier ohne das Eiserne Kreuz und von den 12 Eisernen Kreuzen 1. Klasse gehörten 3 braven Feldwebeln.
Das III. Armeekorps übernahm nun die Sicherung gegen die feindliche Loire-Armee, aber schon am 29. Januar kam die Kunde, daß Paris gefallen und ein Waffenstillstand abgeschlossen worden sei. Die folgende Zeit verlief in den jetzt angewiesenen Standquartieren in angenehmer Ruhe.
Bald hatte auch das Regiment wieder die volle Etatsstärke.
Der 2. März brachte endlich das wichtige Ereignis der Ratifikation des Präliminarfriedens. Der Krieg war beendet. Das Regiment erhielt Ende März Quartiere auf dem rechten Seineufer und verlebte schöne Lage in Trones, im Mai finden wir unsere 20er im Marne – Departement. Hier erhielt das Regiment die Nachricht, daß auch die 6. Division, zu der es gehörte, zur vorläufigen Besetzung französischer Gebiete bestimmt sei, bis Frankreich den letzten Rest der Kriegsentschädigungsgelder bezahlt habe.
Der Regimentsstab und die beiden Musketierbataillone kamen nach Epernay, die 9. und 11. Kompagnie nach Dormans, die 10. und 12. nach Treloup, die 7. später nach Cumières, die 2. nach Hautvillers, kleinen Dörfern in der Nähe von Epernay.
Der Dienstbetrieb regelte sich von jetzt ab nach den Bestimmungen des Friedens.
Am 4. Juli 1872 verließ Oberst v. Flatow, der sein Regiment zu Ruhm und Sieg geführt, dasselbe, um die Führung der 53. Brigade zu übernehmen.
An seine Stelle trat Oberstleutnant v. Fuchs. Ende des Jahres siedelte die 6. Division nach dem Meuse-Departement über, das 20. Regiment kam nach Bar le Duc, zwei Kompagnien nach Fains.
Am 22. Februar 1873 wurde den bei Vionville gefallenen Kameraden ein Denkmal errichtet.
Das Ende der Okkupation nahte jetzt heran.
Von Saarburg aus wurde das Regiment nach der Heimat befördert. Die Musketiere erreichten am 7. August Wittenberg, das Füsilierbataillon Treuenbrietzen, in beiden Städten festlich empfangen.
Nunmehr begann wieder die Zeit friedlicher Tätigkeit.
Im August 1877 wurde auch das Füsilierbataillon nach Wittenberg verlegt.
1888 hüllten sich auch die Fahnen der 20er in tiefe Trauer.
Am 9. März starb Kaiser Wilhelm I. und am 15. Juni Kaiser Friedrich III.
Am 17. Juni leistete das Regiment dem Kaiser Wilhelm II. den Eid der Treue. Noch im Laufe des Jahres ernannte Seine Majestät den König Dom Luiz I. von Portugal zum Chef des Regiments, der jedoch bereits schon am 17. Oktober 1889 starb.
Das Geburtstagsgeschenk, das Kaiser Wilhelm II. am 27. Januar 1889, seinem ersten Geburtstage als Kaiser, der Armee gab, war die Namensverleihung an verschiedene Regimenter.
Unser Regiment erhielt dabei den Namen:
Infanterie-Regiment Graf Tauentzien von Wittenberg (3. Brandenburgisches) Nr. 20.
Noch eine andere, besondere Auszeichnung wurde in demselben Jahre dem Regiment zuteil:
Seine Majestät der Kaiser ernannte den Sohn des verstorbenen Chefs, Dom Carlos I., König von Portugal, gleichfalls zum Regimentschef, im Jahre 1901 wurde Prinz Alfons, Herzog von Oporto, Bruder des Königs von Portugal, à la suite des Regiments gestellt.
Beim Manöver 1902 erhielt das Regiment neue Fahnen; die alten zerfetzten Feldzeichen wurden im Zeughause zu Berlin aufbewahrt als Zeugen der Ruhmestaten der 20er.
Wenn wir heute, am Jubiläumstage, die Geschichte des 20. Regiments an unseren Augen vorübergehen lassen, so gedenken wir zuerst an die Waffentaten des braven 8. Reserve Infanterie-Regiments, wie es bei der Erstürmung von Wittenberg, von Magdeburg, Landau und Bitsch dem aus ihm hervorgegangenen 20. Regiment die Fahnen verdiente.
Tapfere 20er trugen diese dann auf dem Ruhmespfade 1848 über Schleswig, Nüpel und Düppel,
1849 über Ladenburg, Niederbühl und Rastatt.
Dann kamen 1866 die Tage von Hünfeld, Hammelburg, Helmstedt und Uettingen-Roßbrunn.
Noch in Erinnerung sind uns Alten die Tage von Spichern, Vionville-Mars la Tour, Gravelotte-St. Privat, Orléans, Azay-Mazarge, Ardenay und von Le Mans, die Gefechtstage von Change, La Landrière-Le Fertre, nicht zu vergessen die Regentage von Metz.
Überall ruhte der Segen der Vorsehung auf dem Regiment und seinen zerfetzten Feldzeichen.
Auch heute steht das Infanterie-Regiment Graf Tauentzien von Wittenberg zu jeder Zeit und in jeder Stunde bereit zu Deutschlands Ehr und Wehr:
Mit Gott für Kaiser und Reich!
Herrmann, Hauptmann a.D.
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Bilder aus der Geschichte des 20. Infanterie-Regiments.
1. Der Ausmarsch in den Kampf gegen Frankreich
Garnison und Einwohnerschaft von Wittenberg verfolgte in den Julitagen 1870 die Entwickelung der politischen Ereignisse begreiflicherweise mit dem gespanntesten Interesse. Diese schienen das Leben in der alten Lutherstadt wie mit einem Schlage verändert zu haben. Auf den sonst so stillen Straßen sah man zu jeder Tageszeit Gruppen in erregtem Gespräch, und die öffentlichen Lokale waren fortgesetzt dicht gefüllt. Wie eine Erlösung wirkte es bei der schwülen Situation, als am 16. Juli morgens 8 Uhr beim 20. Infanterie-Regiment der Befehl zur Mobilmachung eintraf.
Diese ging mit der größten Regelmäßigkeit vor sich.
Am 5. Mobilmachungstage trafen die Reserven-Transporte aus Berlin, Potsdam und Jüterbog hier ein und wurden unmittelbar nach ihrer Ankunft auf dem kleinen Exerzierplaze durch Oberst von Flatow auf die einzelnen Kompagnien verteilt.
Es war eine Lust, zu sehen, mit welcher Freudigkeit diese Mannschaften dem Rufe der Fahne folgten. Keiner wollte zum Ersatz-Bataillon; jeder drängte sich danach, in das mobile Regiment eingestellt zu werden.
Die Stadt besaß nicht genug Quartiere, um den Regimentszuwachs aufzunehmen, weshalb ein Teil der Mannschaften auf die nächstgelegenen Dörfer gelegt werden mußte.
Die kurze Zeit, welche nach Einkleidung der Mannschaften noch verblieb, wurde zum Exerzieren verwendet; auch mußte noch eine größere Gefechtsübung mit scharfen Patronen von jeder Kompagnie abgehalten werden.
Am 22. Juli besichtigte der Regimentskommandeur Oberst von Flatow auf dem kleinen Exerzierplatze die beiden Musketier-Bataillone und richtete am Schlusse an die Mannschaften eine von Begeisterung durchglühte Ansprache, die mit einem tausendstimmigen Hurra beantwortet wurde.
Noch am gleichen Tage kam der Marschbefehl für das Regiment an. Das 1. Bataillon sollte am 23. Juli nachmittags 5 Uhr 25 Minuten, der Regimentsstab und das 2. Bataillon um 6 Uhr 55 Minuten von Bahnhof Wittenberg abfahren, während das damals in Treuenbrietzen in Garnison liegende Füsilier-Bataillon in Jüterbog den Eisenbahnzug bestieg.
Der Nachmittag des 23. Juli rückte heran und mit ihm für viele der wackeren Krieger die schwere Stunde der Trennung von Weib und Kind, von der Braut, von lieben Verwandten, Freunden und Bekannten.
Ganz Wittenberg war auf den Beinen, als die 20er, mit der Regimentsmusik an der Spitze, unter den schmetternden Klängen der „Wacht am Rhein“ nach dem Bahnhofe marschierten.
Schnell waren die Mannschaften auf die einzelnen Eisenbahnwagen verteilt, dann ertönte das Trompetensignal zum Einsteigen und machte den ergreifenden Abschiedsszenen ein Ende.
Noch ein letzter Händedruck und Kuß den weinenden Lieben, ein Scheidegruß den wehmütig dreinblickenden Kameraden, die das Geschick in die Reihen des Ersatzbataillons gestellt hatte, ein Pfiff – und fort ging es unter begeisterten Hurra-Rufen einer ernsten, ungewissen Zukunft entgegen, in den Kampf für des Vaterlandes Ehre und Sicherheit.
2. Weihnachten in Feindesland.
Am 20. Dezember 1870 bezog das 20. Infanterieregiment in den Ortschaften um Orleans Ruhequartiere. Der Regimentsstab und das 1. Bataillon kam nach La Chapelle, während die übrigen Kompagnien sich auf 7 benachbarte Orte verteilten. Die Quartiere waren im ganzen gut, jedoch ganz ohne Lebensmittel.
Am Tage nach dem Einrücken ging man sofort mit dem größten Eifer daran, die Bekleidung, Waffen und Ausrüstungsstücke. einer gründlichen Reinigung und Ausbesserung zu unterziehen.
Am 21. Dezember trat neuer Schneefall ein, auch nahm die Kälte erheblich zu. Die Mannschaften taten ihr möglichstes, um den Wohnräumen eine behagliche Temperatur zu geben.
Zum Erstaunen der wenigen nicht fortgelaufenen Einwohner wurden ganze Scheiterhaufen von Holz in den Kaminen aufgetürmt – bei der Einrichtung dieser Kamine leider ohne nennenswerten Erfolg. Wurde man auch dicht vor dem Kamine fast gebraten, so blieb das Zimmer selbst doch kalt und ungemütlich und in der entgegengesetzten Ecke hatte man in kurzer Zeit erstarrte Glieder. Vermehrt wurde diese Unbehaglichkeit noch durch die kalten Fußböden, die zum größten Teile mit Steinfliesen belegt waren. Dazu kam noch, daß die Verpflegung der Truppe während dieser Zeit mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte, weshalb wiederholt größere Requisitons-Kommandos in die weitere
Umgebung geschickt werden mußten, die aber nicht oft den erwarteten Erfolg brachten.
So rückte das Weihnachtsfest heran. Wer es nicht gewußt hätte, er hätte es an dem Treiben sehen können, das sich am 24. Dezember in allen Kantonnements entwickelte. Die Umgegend wurde nach Christbäumen durchstreift, denn niemand wollte dieses Symbol der deutschen Weihnacht, das ihm seit den Tagen der Kindheit das Fest verschönt hatte, am heiligen Abend entbehren.
Dann ging es an das Ausputzen des Baumes mit Äpfeln, Nüssen und buntem Papierschmuck.
Alles hatten sich die Mannschaften mit bekannter Findigkeit zu verschaffen gewußt.
Am Abend erstrahlten die Quartiere im hellsten Lichterglanz. Gaffend und staunend standen die Franzosen dabei; auch sie schienen Gefallen an dieser schönen deutschen Sitte zu finden.
Da mit der Feldpost wieder Pakete bis zu 12 Pfund befördert werden konnten, so waren noch rechtzeitig zum Weihnachtsfeste zahlreiche Sendungen aus der Heimat beim Regimente eingetroffen. Wie hätten es sich auch die Angehörigen daheim nehmen lassen können, den Ihrigen im Felde zum Weihnachtsfeste ein Zeichen der Liebe zu senden!
So kam es, daß am Weihnachtsabend in den Quartieren der 20er kein Mangel war, sondern eine gewisse Wohlhabenheit herrschte.
Freilich wollte bei dem Gedanken an die Heimat und an die Lieben daheim keine rechte Fröhlichkeit aufkommen. Doch auch sie gedachten ja sicher in dem gleichen Augenblick der Ihrigen an der fernen Loire und schauten mit gleicher Sehnsucht auf den leuchtenden Weihnachtsbaum, am trauten heimatlichen Herd, zu dessen Verteidigung ja jene jetzt im Herzen Frankreichs standen. Allmählich machte das wehmütige Gedenken denn auch einer heiteren Auffassung Platz, und noch spät am Abend ließen die aus den Quartieren schallenden Soldatenlieder erkennen, daß die 20er auch draußen in Feindesland „fröhliche Weihnachten“ feierten
3. Die Rückkehr der Sieger.
Am 2. März 1871 wurde der Präliminarfrieden ratifiziert, der dem für die deutschen Waffen so ruhmreichen Kampfe ein Ende machte. Mit Stolz durfte jeder, der in den verflossenen schweren Tagen unter Mühen und Beschwerden in den Reihen der Kämpfer gestanden und im Schlachtendonner treu seine Pflicht erfüllt hatte, auf die herrlichen Früchte dieser Siege schauen, und mit hoher Freude durfte der Soldat jetzt an die Rückkehr ins geliebte Vaterland denken.
Für das 20. Infanterie-Regiment aber wurde diese Hoffnung auf die Heimkehr in weite Ferne gerückt.
Die 6. Division, zu der unsere 20er gehörten, war gleich der 4., 19. und 2. bayrischen Division den Okkupationstruppen zuerteilt, die bis zur Zahlung des letzten Restes der Kriegsentschädigung das französische Gebiet besetzt hielten.
Am 29. Juni entließ das Regiment in Moussy seine Reserven.
Am 6. Juli trafen diese in ihrer Garnison Wittenberg ein, wo sie von der gesamten Einwohnerschaft mit jubelndem Willkommen begrüßt wurden. Zum Empfang ber Heimkehrenden hatte sich die Stadt reich mit Fahnen, Laubgewinden und Kränzen geschmückt; am Elstertore war eine hohe Ehrenpforte errichtet.
Zur ersten Begrüßung hatten sich auf dem Bahnhofe die Spitzen des Militärs und eine Abordnung der städtischen Behörden eingefunden.
Als gegen halb fünf Uhr nachmittags der Zug mit den wackeren Vaterlandsverteidigern in den Bahnhof einfuhr, stimmte die Musik die „Wacht am Rhein“ an, die von den zahlreich Versammelten begeistert mitgesungen wurde.
Nachdem die Mannschaften den Zug verlassen und Aufstellung genommen hatte, erfolgte seitens des Kommandanten Oberst von Zedtwitz und des Senators Haldensleben eine kurze vorläufige Begrüßung, da der eigentliche offizielle Empfang erst auf dem Marktplatze geschehen sollte.
Unter den Klängen der Musik und dem Geläute der Glocken zogen die Sieger in die geschmückte Stadt ein.
Der Zug der Heimkehrenden zählte 3 Offiziere, 70 Unteroffiziere und 550 Mann. Aus allen Fenstern der Collegienstraße regneten Blumen und Kränze auf die Einziehenden nieder.
Auf dem Marktplatze waren Bäumchen eingegraben und mit Fahnen und Flaggen geschmückt; von einem Baum zum anderen schwangen sich Laubgewinde, die auf großen Schildern die Namen und Daten der Gefechte und Schlachten trugen, an denen das Regiment teilgenommen hatten.
Die zum Empfang erschienenen Behörden, Geistlichen, Schulen, Turner, Feuerwehrmannschaften usw. bildeten einen nach Süden offenen Halbkreis, in dem auch die hier weilenden Verwundeten des Regiments auf Bänken Platz genommen hatten.
Nachdem die heimkehrenden Sieger an der offenen Seite des Halbkreises Aufstellung genommen hatten, begrüßte sie Bürgermeister Steinbach namens der Stadt durch eine Ansprache, in der er ihre Verdienste feierte. Sodann über reichte er den Offizieren Lorbeerkränze und brachte ein Hoch auf das Regiment, auf die deutsche Armee, ihre Heerführer und auf S. M. den Kaiser aus. Namens der Reserven und des Regiments dankte Major Stocken für den herzlichen Empfang.
Unter Musikbegleitung und Glockengeläut sang hierauf die ganze versammelte Menge den Choral „Nun danket alle Gott.“
Nach einem von den Reserven ausgebrachten Hoch auf die Stadt Wittenberg begaben sich diese in ihre Quartiere.
Am Abend fanden sie sich wieder in dem Vergnügungslokale, „Kamtschatka“ (dem heutigen Bürgergarten“) zusammen, wo sie seitens der Stadt mit Bier und Zigarren bewirtet wurden.
Ein gleicher herzlicher Empfang und festliche Bewirtung wurde auch den am 13. August in Stärke von 500 Mann und den am 23. Oktober in Stärke von 250 Mann aus Frankreich zurückkehrenden übrigen Reserven des Regiments bereitet.
Endlich – im Jahre 1873 – schlug auch dem Regiment selbst die frohe, langersehnte Stunde der Heimkehr in die Heimat.
Am 23. Juli 1873 trat dieses von Bar le Duc aus den Rückmarsch an. Am 4. August bestieg es in Saarburg die Eisenbahn.
Das 1. und 2. Bataillon fuhr noch an demselben Tage ab, während das Füsilierbataillon, das nach Treuenbrietzen zurückkehrte, erst am nächsten Tage abfuhr.
Die beiden erstgenannten Bataillone trafen am 6. August in zwei Sonderzügen in Wittenberg ein.
Zum Empfange war eine zum teil aus weiter Ferne herbeigeeilte Menge versammelt, die bei dem Einlaufen der Züge in begeisterte Hochrufe ausbrach. Die erste Begrüßung fand auf dem festlich geschmückten Bahnhofe durch den Stadt-Kommandanten, Oberst von Zedtwitz, statt.
Da beide Bataillone nicht zu gleicher Zeit eintreffen konnten das – erste kam am Vormittag, das zweite im Laufe des Nachmittags an – beide aber gemeinsam ihren Einzug in die Stadt halten sollten, so wurden die Mannschaften am 6. August vorläufig in den Vorstädten und den nächsten Dörfern einquartiert. So gewann Wittenberg Zeit, sich in einen reichen Schmuck von Fahnen, Laubgewinden und Kränzen zu hüllen.
Die Ausschmückung des Marktplatzes, auf dem die offizielle Begrüßung vor sich gehen sollte, war in derselben Weise geschmückt, wie beim Empfang der ersten Reserven.
Am Morgen des 7. August nahmen beide Bataillone links vom Elstertore Ausstellung. Dahin begab sich eine aus den beiden städtischen Behörden gebildete Deputation, um die Truppen in die Stadt zu geleiten.
Um 7 Uhr setzte sich der Zug unter den Klängen der Musik und Glockengeläut in Bewegung und marschierte durch die Collegienstraße nach dem Marktplatze, wo er zum Halbkreis einschwenkte. Hier hatten sich die Mitglieder des Magistrats, der Stadtverordnetenversammlung, die Geistlichen, das Lehrerkollegium des Gymnasiums und der Bürgerschule, umgeben von ihren Schülern, aufgestellt.
Bürgermeister Steinbach hieß die Heimgekehrten im Namen der Stadt herzlich willkommen und brachte auf das tapfere Regiment und auf den Kaiser ein Hoch aus.
Den Dank des Regiments für den warmen Empfang sprach dessen Kommandeur, Oberst von Fuchs, aus, indem er gleichzeitig der Hoffnung auf ein weiteres gutes Einvernehmen zwischen Militär und Bürgerschaft Ausdruck verlieh.
Hierauf wurden den Offizieren Lorbeerkränze überreicht, und auch die Feldzeichen des Regiments wurden mit Lorbeer geschmückt. Mittags reichte die Stadt den Truppen einen Willkommenstrunk.
Für die Offiziere fand am Abend im Meynerschen Lokale eine Theatervorstellung statt, wobei seitens der Stadt ein kalter Imbiß mit Wein geboten wurde.
Die Avancierten, vom Feldwebel abwärts, bewirtete die Stadt im Mittmann’schen Lokale.
Alle Kreise der Bevölkerung wetteiferten miteinander, den heimkehrenden 20ern die Rückkehr in die Garnison zu einer freudigen, unauslöschlichen Erinnerung zu gestalten.
Richard Erfurth †
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aus : Wittenberger Tageblatt vom 29.07. 1913