Wanderung Wittenberg – Teuchel – Mochau – Schwarzer Berg – Michelsberg – Straach

1923.11.12. Wanderung in der Umgebung

Wanderung Wittenberg – Teuchel – Mochau –
Schwarzer Berg – Michelsberg – Straach

Ein trüb-nebliger Tag grüßt, als wir um 9 Uhr unsere Wanderung frohgemut antraten, hoffend, daß sich das
Wetter doch noch aufklaren würde.
Vorbei ging es an dem früher viel besuchten Weinbergs –
Grundstück, dessen Saal heute wohl kaum benutzt werden dürfte, obwohl eine bessere Verwartung desselben erreichbar wäre.
Die Frage tauchte bei uns auf, ob sich das Gebäude nicht
auch für Wohnzwecke ausbauen ließe.
Teuchel, ein Dorf mit etwa 3-400 Einwohnern, lassen wir rechts liegen, beim Vorbeigehen an dem Urban`schen Hause nur der wohlschmeckenden, warmen Blut- und Leberwurst“ gedenkend, die es vor dem Kriege stets Freitags dort gab.
Unser Weg führt uns am Exerzierplatze , dieserPflegstätte
der Wittenberger Infanteristen und Artilleristen, vorbei.
Noch sind die Spuren der Schützengräben, Unterstände usw. zu sehen, die hier zur Einweihung in die neuere Kriegführung für die jungen und alten Rekruten eingerichtet worden sind.
Bald nimmt uns junger Kiefernwald auf, der mit kleinen
„Kuscheln“ abwechselt.
Unser nächstes Ziel sind die Tagbauten der Teucheler und
Dobiener Ziegeleien und Tonwerke, die hier, mit den Werken
durch Feldbahnen verbunden, weithin in die Waldungen nach östlicher bzw . nordöstlicher Richtung vorgetrieben worden sind.
In einer dieser Tagbauten wurde noch gearbeitet, die andern
liegen still, und der Ton, der das Material für die weithin
bekannten Fabrikate der ein heimischen Ziegelindustrie abgibt,
wird durch von einer kleinen Lokomotive gezogene Kippwagen
bis zur Verarbeitungsstelle herangeholt.
Wir betraten einen heute verlassenen Tagbau, der Firma
Jahr u. Ritterbusch in Teuchel gehörig. Immer tiefer schneidet
der schmale Weg in das Gelände ein, und die hohen Wände
dieses Einschnittes zeigen die verschiedenen Erdschichtungen
in so deutlicher Form,
daß sie sehr gut als Anschauungsmittel für die Schulen gelten können. Der schlüpfrige Weg endet in einem großen Kessel,
auf dessen Sohle Braunkohle in größeren oder kleineren
Stücken herumliegt. Ob sie einbrauchbares Brennmaterial
abgeben, entzieht sich leider unserer Kenntnis.
Überall sind die Spuren regen menschlichen Schaffens zu
bemerken, und doch ist nirgends ein Mensch zu sehen.
Absatzstockung!
Mangel an Nachfrage!
Nun entsteht für uns die Frage:
Wie auf dem kürzesten Wege aus dem Kessel wieder herauskommen? Wieder rückwärts gehen, bedeutet Zeitverlust,
den Abhang hinauf zu steigen, erscheint fast unmöglich; und doch entschlossen wir uns für das letztere, trotz des rutschenden, klebrigen Erdreichs gelang uns dieses Vorhaben überraschend schnell. Oben angelangt, verschnauften wir eine kurze Zeit, dabei noch einmal einen Blick in den weiten Kessel werfend.
Rüstig geht es auf moosigen Waldboden vorwärts.
Ueppig schießen hier Giftschwämme in prächtiger weißroter Färbung empor, während eßbare Pilze nur in sehr geringer Zahl zu finden sind.
Dafür gibt es zu viele Liebhaber. Ab und zu hört man das Knacken der Tätigkeit der Holzsammler, deren Spuren vielfach zu sehen sind, in der Haft nur notdürftig verdeckte Stumpfe überarmstarker Kiefern bezeugen, daß hier eine unerlaubte Sammeltätigkeit ausgeübt worden ist. Hundegebell kündet die Nähe menschlicher Wohnungen, bald auch das Gackern von Hühnern; wir sind an der Grüntalmühle, dem Erholungsheim der Ortskrankenkasse I in Wittenberg, das diese unter Aufgebot erheblicher Mittel hier errichtet hat. Die freundliche Wirtin, Frau König , ladet uns zu
einer Besichtigung ein, und mit berechtigtem Stolze zeigt sie uns
die Einrichtungen des Heim und die schönen, wohlgepflegten Viehbestände die heute erhebliche Werte darstellen:
Rindvieh, Schweine, Hühner.
Aber die Grüntalmühle ist kein Wirtshaus, und da das Wandern Hunger macht, meldete sich unser Magen, deshalb rasch weiter zunächst östlich, dann an der Wegekreuzung nördlich dem Kirchdorfe Mochau entgegen. In einer der beiden Gastwirtschaften wollten wir das Frühstück einnehmen.
Doch vergeblich versuchen wir Einlaß zu finden wir stehen vor verschlossener Tür! Doch da teilt uns ein vorübergehender Dorfbewohner mit, daß sich die Besitzerin im Hofe befinde.
Im Begriff die Hoftür zu öffnen, prallen wir mit einem
frischrotbackigen drallen Mädchen zusammen, hinter ihr die Wirtin, beide im Begriff, einen Wagen mit Reisbunden abzuladen.
Die letztere macht unserem Ansinnen gegenüber uns eine Tasse Kaffee zu kochen, Ausflüchte, sie müsse den Wagen erst abladen um noch eine Fuhre zu holen, da zu viel gestohlen würde.“
Doch einer der unseren wußte Rat; wir laden die „Reisbunde“ ab, verstauten sie auf dem Boden, und die Wirtin kocht währenddessen den Kaffee. Gesagt, getan.
Mit Hilfe zweier junger Mädchen gehen wir vier an die ungewohnte Arbeit, und diese wird so kräftig gefördert, daß sie in kurzer Zeit beendet ist. Diese Sachkenntnis brachte die Wirtin auf den Gedanken, daß wir – Arbeitslose seien, die den Tag zu einer „Partie“ (Party) benutzen, und ihre jung verheiratete Tochter fragte uns naiv, ob wir auch „auf Stickstoff“ tätig seien – eine Frage,
die wir dreist mit „Ja“ beantworteten.
Die uns so aufgenötigte Rolle führten wir mit viel Humor gut durch, bis es zum Bezahlen der Zeche kam, wo die Geldtasche eines der unseren die Wirtin doch in ihrer Annahme wankelmütig machte.
Wir beließen sie in ihrem Irrtum.
Unser Weg führte uns weiter. Vorbei an der kleinen Kirche in Ziegelrohbau, äußerlich ohne jeden Schmuck, aber doch recht malerisch, ging es rechtsum dem Walde entgegen.
Bald stehen wir an einer dreifachen Wegkreuzung, unterrichten uns an Hand der Karte und schlagen den mittleren Weg ein, der zum „Schwarzen Berge“ und „Michelsberge“ führen soll.
Prächtige Kieferwaldungen, nicht selten durchsetzt von lichten Birken und anderem Laubholz, umfängt uns, bis wir, halbrechts abbiegend, bald dicht vor dem mit niedrigem Gehölz schwach bestandenen, 178 m hohen „Schwarzen Berge“ uns befinden.
Auf scharf ansteigendem Pfade geht es empor, und bald sind wir oben.
Ringsherum Wald und nichts als Wald, in den verschiedensten Schattierungen, in der Ferne nur schwach in der nebeligen
Herbstluft Dörfer wahrnehmbar – bei klarem Wetter eine
prächtige Rundsicht.
Leider war die Fernsicht durch das trübe Licht sehr behindert, und wir entschlossen deshalb, den geplanten Aufstieg nach dem dicht hinter dem „Schwarzen Berge“ gelegenen „Michelsberge“ uns zu versagen.
In scharfer Wendung nach Osten schritten wir vorwärts,
immer noch im Walde gehend.
Leider setzte Sprühregen ein, der gar nicht aufhören wollte.
Wir mußten nach unserer Ansicht dicht vor Grabo sein.
An Hand der Karte setzten wir den Weg zunächst nördlich fort, und bald sahen wir die Dächer des freundlichen Dorfes durch die dunstige Luft emportauchen. Dann wieder eine Wendung des Weges diesmal südöstlich, und wir sind in der lang an der Straße Nudersdorf – Weddin sich hinziehenden Ortschaft angekommen.
Der leichte Regen nötigt uns, Grabo ohne Aufenthalt zu
durchwandern . Die hübsche Kirche des Dorfes, am Ende desselben nach Straach zu gelegen, lassen wir rechts liegen und verfolgen unseren Weg nach dem eben genannten, durch seine Töpfereien weithin bekannten Dorfe zu, dem Ziele unserer heutigen Wanderung. Auf ziemlich geradem Waldwege schreiten wir vorwärts, und bald taucht Straach vor uns auf, das wir schon bei unserer Wanderung nach dem Rabenstein besucht hatten.
Heute fällt uns der erwähnte Industriezweig besonders ins Auge.
Nur einen kurzen Blick gestattet uns der schärfer einsetzende Regen in die Stätten der Herstellung von Einmachetöpfen und bunt bemaltem Haushaltungsgeschirr.
Bei „Frau Pauline“ kehren wir heute ein und stärken uns an einer guten Tasse „Heeßen“.
Hier hatten wir Gelegenheit, einen auswärtigen Töpfereibesitzer in unsere Unterhaltung zu ziehen.
Er war mit eigenem Gespann und einem jungen Begleiter von Görzke , einem hinter Wiesenburg, von Straach etwa 35 Km entfernten Orte mit lebhaftem Töpfereibetriebe, gekommen, um hier Straacher Ton zu holen und dort zu verarbeiten.
Eine derartige Reise nimmt zwei Tage reichlich in Anspruch, und doch soll sie sich lohnen.
Der Straacher Ton soll, wie man uns mitteilte, in zahlreichen „Nestern“ in der Nähe des Dorfes vorkommen und sehr gesucht sein.
Derartige Nester werden rasch abgebaut und dann wieder zugeschüttet – ähnlich wie wir es bei den Wittenberger ,,Lehmwiesen“ im Lug finden.
Es war spät geworden, als wir wieder in Wittenberg eintrafen.
Wieder eine schöne Wanderung, der, um wirklich genußreich gewesen zu sein, nur das schöne, klare Herbstwetter gefehlt hat.

A. T.