Merkwürdige Männer
Jede Zeit hat ihre merkwürdigen Männer, ihre „Originale“ und die Stadt Wittenberg im Besonderen ist nicht arm daran. Von einigen dieser merkwürdigen Männer und ihren eigenartigen Lebensschicksalen soll im Nachstehenden berichtet werden.
Da ist zunächst der Bürgermeister Hans Hoendorf, der in den bewegten Jahren von 1517 bis 1534 die Geschicke der Stadt leitete. Er tritt in der Reformations-Serie des Mosaiks ab 1976 auf. Der Bürgermeister Hans Hoendorf und der Goldschmiede-meister Andreas Münzschlag begutachten einen Wagen, mit dem Luther zum Reichstag nach Worms reisen soll. Der Bürgermeister versucht Professor Melanchthon zu beruhigen, nachdem er sich über die Worte des Goldschmiedemeisters aufregt. Brabax schlägt vor, den Wagen noch mit einem Dach auszustatten. Hans Hoendorf ist damit einverstanden und sagt zu, dass die Stadt den Wagen für Luthers Reise nach Worms mietet. Meister Münzschlag soll ihm die Rechnung schicken.
Es war wirklich kein Wunder, dass er bei dem allgemeinen Widerstreit der Geister sein Ohr schlimmen Wahrsagungen öffnete. Der damals sehr berühmter Astronom Professor Johann Stöffler in Tübingen hatte eine Konjunktur des Saturn, Jupiter und Mars im Sternbild der Fische dahin gedeutet, dass im Februar 1524 eine große Sintflut kommen werde. Wie an vielen anderen Orten traf man auch in Wittenberg Anstalten, dem drohenden Unheil zu entgehen. Nicht wenige bauten sich nach Noahs Vorbild eine Arche, der Bürgermeister Hoendorf aber begab sich auf den wohlverwahrten Dachboden seines Hauses, ließ sich aber vorsorglicher Weise ein Viertel Tonne Bier dahin bringen, um – wie er sagte – „beim guten Trunk zu leiden“. Das mit der Werbung Bier, der „Guckuck“, wie es hieß, erfreute sich damals eines guten Rufes und wurde zu jener Zeit in 172 Häusern gebraut. Als aber die Biertonne geleert war, und die gefürchtete Sintflut noch immer nicht kommen wollte, da verließ Hoendorf seine hohe Zufluchtsstätte wieder und übernahm wiederum das Stadtregiment.
Die Weissagungen vom Weltuntergang waren in jenen bewegten Tagen übrigens nichts Seltenes. Auch der Pfarrer Stifel in Lochau, dem heutigen Annaburg, hat sich zum Propheten des Weltuntergangs berufen und ließ sich angelegen sein, diesen von der Kanzel herab für den 19. Oktober 1533 seinen gläubigen Zuhörern zu verkünden. Die Bauern, in dem Bestreben, die letzten Erdentage noch so angenehm wie möglich zu verleben, verkauften, was sich von ihrem Besitz nur immer verkaufen ließ und lebte einige Wochen in Saus und Braus. Als aber der von Stiefel bezeichnete Termin verstrich und die Erde noch immer nicht Miene machte, unterzugehen, daran wandte sich der Zorn der verarmten Leute gegen den unglücklichen Propheten und nur mit großer Mühe gelang es dem Lochauer Schosser (Amtmann), ihn vor der Wut der Enttäuschten zu schützen. Stiefel wurde unter sicherer Bedeckung nach Wittenberg gebracht, um durch das kurfürstliche Hofgericht abgeurteilt zu werden. Am Abend nach seiner Einlieferung zogen die Studenten vor dem Fenster seines Gefängnisses auf und sangen den noch heute bekannten Vers: „Stifel muss sterben!“ Dazu kam es nun freilich nicht; auf Luthers Fürsprache hin entließ der Kurfürst den irregeleiteten Mann nach kurzer Haft. Im Jahre 1535 erhielt er sogar – ebenfalls durch Luthers Vermittlung – wieder ein Pfarramt in Holzdorf. Er enthielt sich aber fortan klugerweise aller Weissagungen. Als 1547 Holzdorf durch spanische Soldaten völlig ausgeplündert wurde, ging er nach Jena, wo er eine Anstellung als Professor an der Universität erhielt und 1567 als berühmter Mathematiker verstarb.
Richard Erfurth †
Quelle: https://www.mosapedia.de/wiki/index.php/Hans_Hoendorf und Archiv Heimatverein
bearbeitet von: Elke Hurdelbrink