Die Pest in Wittenberg
Wittenberg stand lange Zeit in dem üblen Rufe, eine ungesunde Stadt zu sein – ob mit Recht oder Unrecht, soll hier nicht untersucht werden. Fest steht jedenfalls, daß die Pest ein häufiger Gast in der durch die Festungsmauern eingeengten Stadt war, was freilich auch von zahlreichen anderen Städten unseres Vaterlandes gilt.
Bemerkenswert ist in dieser Hinsicht ein im Zerbster Stadtarchiv befindliches Schreiben des Wittenberger Rates an den Rat der Stadt Zerbst, mit der damals jedenfalls rege Beziehungen bestanden. Wir erfahren aus dem Schreiben, daß die Pest im Jahre 1542 in Wittenberg eine derartige Ausdehnung genommen hatte, daß alles wirtschaftliche Leben darunter litt und keine Märkte abgehalten werden konnten. Der Rat der Stadt Wittenberg sah sich veranlaßt, durch ein Schreiben vom 23. November 1542 „Burgermaister und Rathmanne der Stadt Zerbst“ noch ganz besonders zu warnen, damit nicht etwa Zerbster Bürger, denen die Bekanntmachung von der Aufhebung des kommenden großen Marktes in Wittenberg nicht zu Ohren gekommen war, sich leichtfertig in die Gefahr der Ansteckung begaben und die schreckliche Krankheit in ihre Heimatstadt verschleppten. Denn wenn Zerbst auch gleichfalls wiederholt von der Pest heimgesucht wurde, so war die Stadt doch im Jahre 1542 bisher von diesem Würgeengel verschont geblieben.
In früheren Jahrhunderten wurden die amtlichen Schreiben des Rates nicht immer doppelt ausgefertigt, wie es heute geschieht, und auch in den Fällen, wo dies geschah, benutzte man als Konzept oft schon anderweitig gebrauchte Zettel, die nachher vernichtet wurden. Darum darf man sich nicht wundern, daß derartige Nachrichten, die uns einen wertvollen Einblick in die Verhältnisse und Geschichte unserer Stadt geben, nicht an Ort und Stelle, wohl aber in den Archiven anderer Städte sich vorfinden. So enthält das Zerbster Stadtarchiv eine große Anzahl von Schreiben, die für die Wittenberger Stadtgeschichte recht wichtige Mitteilungen enthalten. Es finden sich dort allein 36 Faszikel-Briefe des Wittenberger Rates bzw. der Universität Wittenberg an den Rat der Stadt Zerbst aus den Jahren 1432 bis 1776. Außerdem weist der Hauptkatalog des Archive unter der Rubrik „Wittenberg“ eine große Anzahl Rechtssprüche des Hofsgerichts und der juristischen Fatultät in Rechtsstreitigkeiten nach, gibt Nachrichten über Rats- und sonstige Personen so wie über das Wittenberger Konsistorium. Auch eine größere Zahl von Zinsquittungen und sonstige Bescheinigungen finden sich.
Das eingangs erwähnte Schreiben des Wittenberger Rates lautet wörtlich:
„Unnser freuntwillige Dienste zuvor Ersamen und weysen insonder günstigen Freunde.
Euch ist sonder zweyfel unvorborgen, wie sich die sehr sehrliche leusste des sterbenns halten auß Gottes vorhenknis, hin und wider im lannden ereygen und zum teyl an vhilen orther vast geschwinde eingerissen.
Derhalben wir vorursacht, unnsern freymarkt, so die woche auff kunftigen Montag nach conceptionis Marie hette moggen gehalten werden, abetzuschreyben.
Ganß freundlich Bittende, solches den Eueren, welche denselben Jarmarkt zu besuchen bedacht, antzutzeygen, daß sie sich darnach Richten mogen und in vergebene unkosten und zehrunge nicht gefurt wurden.
Auff eyne andere zeyt wollen wir sie gerne bey unns wißen und dulden, yhnen auch gunst, ferderung und geneygten gutten willen beweysenn. Euch auch wilfehrige Dienst zu ertzeygen wollen wir allezeyt gantz willigt seyn.
Gegeben Dornstag am tage clementis Anno MDXLII.(1542)
Der Rath zu Wittenbergk.
Dem Ersamen weyjen Burgemaister und Rathmannen der Stadt Zerbst unsern gunstigen guthen freunden.“
aus: 1930.01.25. Unser Heimatland