Bräuche und Sitten der Weihnachtszeit

Das christliche Kirchenjahr wird eingeleitet durch die Adventszeit, die mit dem ersten Adventssonntag ihren Anfang nimmt. Es ist eine frohe, erwartungsvolle Zeit, wie sie außer dem deutschen Volke von keinem anderen gefeiert wird. In ihrem Mittelpunkt steht das Weihnachtsfest, das zu einem von Zauber und Poesie erfüllten echten deutschen Familienfeste geworden ist, das unser Volk sich so gestaltet hat, wie es seiner gemütvollen Art entspricht. Das Bedürfnis, der notleidenden Volksgenossen zu gedenken, der Wohltätigkeit das Herz weit zu öffnen, ist zu keiner anderen Zeit so lebendig und zwingend wie am Weihnachtsfeste. Die Feier im Familienkreise unter dem lichterglänzenden Tannenbaume, mit dem ein Stück deutschen Waldes in das Haus gebracht wurde, die Freude am Schenken, die Lust am Essen und Trinken, die Freude am Gesang der alten schönen Weihnachtslieder, der Besuch der Christmette oder Christvesper, alles das sind Züge, die aus der deutschen Volksseele heraus gewachsen sind und sich zu einem harmonischen Ganzen vereinigen.

Schon Wochen wirft das liebliche Fest seine Strahlen voraus. Am ersten Adventssonntag wird der aus Tannenzweigen geflochtene und mit vier der Zahl der Adventssonntage entsprechenden Lichtern besteckte Adventskranz im Zimmer aufgehängt. An seine Stelle ist vielfach der aus rotem oder gelben Papier gefertigte und innen von einer Glühlichtbirne erleuchtete Adventsstern getreten. Auch sogenannten Adventshäuschen findet man hier und da. Sie zeigen vier Fenster, von denen mit jedem Adventssonntag eins geöffnet wird. Alle diese Vorboten des Weihnachtsfestes behalten bis zu diesem selbst ihren Platz.

Bereits einige Zeit vor dem Weihnachtsabend kommt der Knecht Rupprecht – auch heiliger Christ, in einigen Gegenden auch Nikolaus genannt – in die Häuser und erkundigt sich, ob die Kinder artig und fleißig waren. Er ist in einem Pelz gehüllt, dessen rauhe Innenseite meist nach außen gekehrt ist. An den Füßen trägt er hohe Schaftstiefel und auf dem Kopfe eine Pelzmütze oder einen großen Schlapphut. Ueber der Schulter hängt ihm ein Sack, und in der Hand hält er eine Besenrute. Ein langer weißer Vollbart oder eine bärtige Larve bedeckt das Gesicht. Wenn er ins Zimmer tritt müssen die Kinder beten:

Lieber guter Weihnachtsmann,
Sieh mich nicht so böse an,
Stecke deine Rute ein,
Ich will immer artig sein.

Solche, die nicht beten können oder wollen oder die unartig waren, straft er mit der Rute, während er die braven und fleißigen Kinder mit Nüssen, Aepfeln, Pfefferkuchen usw. beschenkt. Seine Haupttätigkeit entfaltet er am Heiligen Abend, wo er den Weihnachtsbaum und die Geschenke bringt. Vielfach fährt er mit dem Schlitten vor, was durch das Läuten von Schlittenschellen angedeutet wird. Damit nun der vorgespannte Schimmel recht lange und ruhig stehen bleibt, so daß Knecht Rupprecht recht viele Geschenke abladen kann, müssen die Kinder ein Bündel Heu für das Pferd vor die Tür legen.

Diese mit dem deutschen Weihnachten so festverwurzelte Gestalt ist nichts anderes als ein Abbild Wodans. Das geht schon aus dem Namen Rupprecht hervor, der von Wodans Beinamen „Hruodperath“ abgeleitet ist, der soviel bedeutet wie der „Ruhmreiche“. In einigen Gegenden erscheint dieser darum auch als „Schimmelreiter“, wobei der ihn darstellende Bursche sich in ein weißes Bettlaken hüllt. An der Brust ist ein Sieb befestigt, an dem ein Pferdekopf angebracht ist, so daß das Ganze das Aussehen eines Reiters auf einem Schimmel erhält und damit deutlich sich als die Nachbildung der Göttervaters bezeugt. Auch die Rosinen- und Pflaumenmänner, die auf dem Weihnachtsmarkte feilgeboten werden, sowie die Reiter und Männer aus Pfefferkuchenteich, die wir an den Weihnachtsbaum hängen, sind ursprünglich als Sinnbilder Wodans gedacht.

Im Mittelpunkt des Weihnachtsfestes, vor allem des Heiligen Abends, steht der lichterglänzende Christbaum. Der Brauch ist gar nicht so alt, wie man wohl annehmen möchte, wenngleich die Sitte, zur Weihnachtszeit grüne Zweige ins Haus zu stellen, schon früher geübt wurde. Sebastian Brandt schreibt in seinem „Narrenschiff“ von 1419 darüber:

Und wer nit etwas nuwes hat
Und um das nuw Jor syngen gat
Und grygen tann riß steckt in syn huß,
Der meynt, er lebt das Jor nit us.

Als die Heimat des Weihnachtsbaumes ist wohl das Elsaß anzusehen. In einem Buche über Straßburg vom Jahre 1604 heißt es:
„Auff Weihnachten richtet man Dannenbäume zu Straßburg in den Stuben auff; daran henkt man Rosen, Aepfel, Obladen, Zischgold, Zucker und stellet den in einen viereckent ramen.“
Achzig Jahre später scheint die Sitte im Elsaß bereits festen Fuß gefaßt zu haben, denn 1684 eifert der Straßburger Domherr Professor Dannhauer dagegen:
„Unter andern Lappalien, damit man die alte Weihnachtsfeier oft mehr als Gottes Wort begehret, ist auch der Weihnachtsbaum oder Tannenbaum, den man zu Hause aufrichtet, denselben mit Puppen und Zucker behängt und ihn hernach schütteln und abblümeln läßt. Wo die Gewohnheit hergekommen, weiß ich nicht; ist ein Kinderspiel, doch besser als ander Phantasie, ja Abgötterei, so man in dem Christkind pfleget zu treiben und also des Satans Kapelle neben die Kirche baut.“

Den ersten Weihnachtsbäumen fehlte noch der Lichterschmuck. Die älteste Mitteilung über diesen stammt von Gottfried Kickling aus dem Jahre 1757, worin dieser uns von den Weihnachtsbräuchen in seiner Vaterstadt Zittau berichtet und dabei erwähnt, daß eine vornehme Landfrau aus der Umgegend jedem ihrer Untergebenen ein Bäumchen „ausputzen und anzünden“ ließ. Im Jahre 1765 feierte der junge Goethe als Student im Hause von Theodor Körners Eltern in Dresden Weihnachten unter einem „mit Wachslichtern geschmückten Tannenbaum“. Doch scheint eine solche Weihnachtsfeier damals noch nicht allgemein üblich gewesen zu sein. Erst nach den Freiheitskriegen, als das deutsche Volk von der Fremdherrschaft befreit wieder aufatmen und seine Eigenart wieder pflegen konnte, drang der Weihnachtsbaum in weitere Gebiete unseres Vaterlandes. Aus Deutschland wurde die Sitte nach anderen Ländern gebracht. Im Jahre 1840 brannte ein Weihnachtsbaum nach deutschem Muster zum ersten Male sowohl in Paris als auch in London; nach der ersteren Stadt hatte ihn die Herzogin von Orleans, eine mecklenburgische Prinzessin, nach der letzteren der Prinzgemahl Albert von Sachsen-Koburg gebracht. In Bayern wurde der Lichterbaum erst seit 1856 allgemeiner bekannt. Wenn in Scheffels „Ekkehard“ erzählt wird von der Weihnachtsfeier auf der Burg Hohentwiel (im 10. Jahrhundert!):
„Der Weihnachtsbaum war gefällt; sie schmückten ihn mit Aepfeln und Lichtlein“, so ist das unhistorisch wie so manche andere Erwähnung des Baumes in Erzählungen aus früherer Zeit.
Es steht z. B. auch fest, daß Dr. Martin Luther mit den Seinen niemals das Weihnachtsfest unter dem lichterglänzenden Tannenbaume gefeiert hat, wie dies in weitverbreiteten Bildern dargestellt wird.

In manchen Häusern trifft man als Ersatz des grünen Tannenbaums den „Drehbaum“, die Pyramide, an. Sie nahm ihren Ausgang aus der Kirche, wo hohe pyramidenförmige Holzgestelle mit zahlreichen Lichtern besteckt, den Mittelpunkt der kirchlichen Weihnachtsfeier bildeten. Die Pyramide ist immer mehr von der grünen Weihnachtstanne verdrängt worden; nur in den Ortschaften des Erzgebirges und in Thüringen ist der künstlerisch geschnitzte und mit allerlei Figuren besetzte Drehbaum noch häufiger zu finden.
Das deutsche Weihnachten ist nicht denkbar ohne das Weihnachtslied. Es ist ein tiefsymbolischer Zug der Weihnachtsgeschichte, daß die frohe Botschaft, welche den Hirten die Geburt des Weltheilandes verkündigt, von den Engeln gesungen, nicht gesprochen wird:
„Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen!“
Können wir uns diese Worte anders als gesungen vorstellen?
Was wäre Weihnachten ohne das Weihnachtslied! Auf Bethlehems mitternächtiger Flur erklang es zum ersten Male, um fortzutönen durch die Jahrhunderte, bald lauter, bald leiser, um auch hereinzuklingen in unsere unruhige, bewegte Zeit. Kein fühlender Mensch wird sich dem stillen Zauber des Weihnachtsliedes entziehen können, der mit unwiderstehlicher Gewalt an das Herz rührt. Wie innig und beseligend klingt doch das alte ewig schöne Lied von der Rose, die entsprungen ist „aus einer Wurzel zart“ an unser Ohr und Herz, und wie gern lauschen wir der Engelsbotschaft, wenn sie uns ertönt aus Martin Luthers frommen Gesang:

„Vom Himmel hoch da komm ich her,
ich bring euch gute neue Mär.“

Vor unseren Blicken steigt die eigene Jugendzeit mit all ihrer Weihnachtsseligkeit auf, wenn es von Kinderlippen klingt:

„Du lieber heil’ger, frommer Christ,
der für uns Kinder kommen ist“,

und Frieden und Stille zieht in das von Zweifeln und Sorgen bedrängte Herz, wenn es leise und lind erklingt:

„Stille Nacht, heilige Nacht“

oder hell und jubelnd hinausschallt über Eis und Schnee:

„O du fröhliche, o du selige,
gnadenbringende Weihnachtszeit!“

Selten fehlt unter dem Weihnachtsbaume die Krippe mit dem Jesuskinde. In früherer Zeit waren diese Krippen viel größer als heute und prächtig ausgestattet. Schon die fromme Kaiserin Helena, die Mutter Konstantins des Großen, ließ in der Kirche, die über der Stelle in Bethlehem steht, welche als die Geburtsstätte des Heilandes bezeichnet wird, eine kostbare Krippe aus weißem Marmor errichten. Auch der heilige Franziskus von Assisi ließ im Jahre 1221 mit Erlaubnis des Papstes in seiner Kirche eine prächtige Krippe aufstellen, und um den Stall der Geburt anzudeuten, stelltem man einen Ochsen und Esel daneben. Bald gab es kaum noch eine Kirche, in der sich nicht eine mehr oder weniger kostbare Krippe fand. Als nach der Reformation das Ausstellen von Krippen in den Kirchen seltener wurde, ahmte man diesen Gebrauch in den Häusern nach. Der reiche Bürger Moser in Bozen ließ sich eine solche Krippe zum Preise von 10 000 Gulden herstellen. Heute können wir eine Krippe, an der sich jung und alt erfreut, schon für wenige Groschen kaufen. Für die kirchliche Weihnachtsfeier waren die Krippen unerläßlich und bildeten den Mittelpunkt der Krippenspiele, die in der Gegenwart wieder zu neuem Leben erweckt wurden.
Der Text dieser volkstümlichen Spiele, in denen die Weihnachtsgeschichte zur Darstellung gelangt, wurde meist nur von Mund zu Mund fortgepflanzt. Zuweilen aber besaß ein Einwohner eine schriftliche Aufzeichnung. Dieser übernahm dann die Spielleitung ähnlich wie bei den Oberammergauer Passionsspielen. Volksfreundliche Forscher haben sich bemüht, die dem Volke noch erinnerlichen Texte dieser Weihnachtsspiele aufzuzeichnen, und so besitzen wir Weihnachtsspiele aus Thüringen, Sachsen, Schlesien, den Rheinlanden, Böhmen, Kärnten, Salzburg und Mähren. Zumeist schließen sich deren Texte dem Wortlaut der Bibel an, aber vielfach ist auch mancherlei hinzugedichtet worden, und zwar, wie es des Volkes Art ist, meist recht Naives und Gemütliches.
In einem erzgebirgischen Weihnachtsspiel z. B. kommt ein junger Hirte, der nichts weiter besitzt als eine harte Brotrinde, zu dem neugeborenen Jesuskinde und reicht die Rinde dem Vater Joseph mit den Worten:

„Da, Alter, iß du’s, weil’s doch das Kindlein nicht beißen kann.“

In der Szene, wo der Engel erscheint, weckt in einem anderen Spiele ein Hirt den anderen aus dem Schlafe mit den Worten:

„Steh auf, uns ist ein Kind geboren!“

Jener aber fragt schlaftrunken:

„Was, ein Kind ist erfroren?“

Wieder holt tritt in den Spielen der geizige Wirt auf, der Joseph und Maria, als sie nach ihrer Ankunft in Bethlehem bei ihm um Herberge bitten, hartherzig von seiner Tür weist und dann dafür bestraft wird. Ein anderer möchte beide wohl aufnehmen, aber er fürchtet sich vor seinem bösen Weibe, unter dessen Pantoffel er steht. Der schlichte Sinn des Volkes nahm an derartigen unbiblischen Zutaten und Erweiterungen durchaus keinen Anstoß, und jung und alt lauschte dem Spiele mit größter Andacht und Ehrfurcht.

Die Christnacht ist nach dem Volksglauben mit geheimnisvollen Kräften, Wundern und Spuk erfüllt. Die Haustiere, besonders die Pferde, erhalten um Mitternacht aus eine Stunde die Sprache.
Der Hausvater beschenkt die Obstbäume im Garten mit einem Strohseil, damit sie im kommenden Jahre reichlich Früchte bringen. In der Christnacht erhält man auch Auskunft über sein künftiges Schicksal. Deshalb kehren in Thüringen die jungen Mädchen am Weihnachtsabend die Stube aus und tragen den Kehricht auf den Hof, setzen sich darüber und warten, bis der erste Hahn kräht.
Aus der Gegend, in welcher das geschieht, wird dann der Freier kommen. Dieser Brauch ist kein gemachter Hokuspokus, sondern ein Ueberrest des alten Volksglaubens, nach welchem unholde Wesen am Boden und in den Ecken der Stuben hocken, und die man mit dem Kehricht hinaus fegt. Sobald man nun durch das Niedersitzen auf letzterem mit ihnen in Verbindung tritt, verkünden sie die Zukunft. In Beziehung damit steht der Glaube an die Prophetengabe des Hahnes. Gleicherweise wie dieser den lichtbringenden Tag kündet, vermag er auch die Zukunft zu offenbaren. Deshalb pochen die Mädchen in der Weihnachtsnacht an die Tür des Hühnerstalles und sprechen:

„Gackert der Hahn,
so krieg ich ’nen Mann;
gackert die Henn‘,
so krieg ich noch keen.“

Bei dem lieblichen, poesievollen Zauber, der die Weihnachtszeit umgibt, können uns die vielfachen Sitten und Bräuche, die diese umranken, nicht wundernehmen, denen es keinen Abbruch tut,
daß sie vielfach aus dem heidnischen Altertum übernommen sind. War doch der 25. Dezember ursprünglich bei den Aegyptern, den Syrern, Griechen und Persern der Geburtstag des Sonnengottes, und bei den Germanen hielt um diese Zeit am Fest der Wintersonnenwende (21. Dezember) Wodan, der oberste der Götter, seinen Umritt. An die Stelle dieser heidnischen Gottheiten setzte das Christentum Jesus, als die Sonne, die der Welt das Licht gebracht hat, um so den neuen Christen die Abkehr vom Heidentum zum Christenglauben zu erleichtern. Das Auftreten und die Umzüge der verschiedenen Gestalten in der Weihnachtszeit, die zumeist Namen aus der Heiligenlegende erhalten haben, beruhen also unzweifelhaft auf altgermanischen Vorbildern. Daher eiferten denn auch Konzile, Verordnungen der Kirche und der Fürsten gegen den „Mummenschanz“ in der Weihnachtszeit und suchten ihn als heidnisch auszurotten.
Aber alles Mühen war vergeblich; das Volk hielt an diesen Gestalten und Bräuchen fest, und es blieb der Kirche nichts anderes übrig, als ihnen christliche Namen und christliche Deutung zu geben. In ihnen spiegelt sich einmal die tiefe Religiosität des Deutschen, sein sinniges Gemüt und zum anderen sein frischer, kerniger Humor wieder.

Lange Zeit hindurch war das Weihnachtsfest ein über wiegend kirchliches Fest. Aus diesem aber bildete es sich mehr und mehr zum Familienfeste von so gemütvoller Art, wie es bei keinem Volke der Erde zu finden ist. In seiner Form ist es der sichtbarste Ausdruck des deutschen Gemüts in seinem Walten am häuslichen Herd, das vom Zauber der Poesie umgeben ist. Wir brauchen nicht darüber zu grübeln, ob seine einzelnen Sitten und Bräuche germanisch-heidnischen oder christlichen oder fremden Ursprungs sind. Mögen sie Vätererbe oder von außen zu uns gekommen sein – eins ist sicher: sie wären nicht so fest im Volke verankert, sie hätten sich nicht erhalten, wenn sie nicht dem Wesen unseres Volkes entsprächen und in seiner Seele Widerhall gefunden hätten.

Richard Erfurth †

aus: „Unser Heimatland“ vom 19.12.1936