Besitzverhältnisse und Tätigkeit der Menschen

Ab 1301 wurde zunehmend das gesamte Territorium des Kreises Wittenberg (in seiner Gestalt nach 1815) in Besitz genommen und verwaltetet durch:
die alten Ämter Wittenberg, Trebitz, Belzig, die Ritterschaft,
den Rat der Stadt Wittenberg, die Universität und das Allerheiligenstift, die Kapelle zum heiligen Leichnam, die Wittenberger Pfarrkirche und bürgerliche Privatbesitzer.
Den „Unfreien“ in den Besitztümern des Territoriums wurden kontinuierliche Leistungen als Krieger, Bauern und „Handwerker“ abverlangt.
Eine Liste der sich aus den „Hand- und Spanndiensten“ ergebenen Pflichten zeigt eine große Vielseitigkeit:
Ackerbau, Winzerei, Holzeinschlag- und Holzverarbeitung, Müllerei und Eisbergung.
Zu den Handdiensten gehörte das Kalkbrennen, die Ziegelerdegewinnung und Ziegelherstellung in den Ziegelscheunen. Die Unfreien leisteten Treiber- und Hirtentätigkeit, sie bewältigten alle Fuhrmanns- und Transportdienste und waren Treidler (Schiffezieher, an der Elbe Bomätscher genannt).
Die „Bauhütten“ der Feudalen zwangen die Menschen zu Handlergerdiensten bei allen Bauten; die Herrschaft forderte das Sammeln von Färberpflanzen, von Hadern für die Papierherstellung, Anteile am Fischfang, das unentgeltliche Schafescheren und das Verdingen der Töchter als Mägde.
Aus den Besitzverhältnissen ergaben sich für die Menschen hohe Abgaben an  Produkten, harte, sehr unterschiedliche Arbeitsleistungen, aber auch Spezialisierungen und Vielseitigkeit in der Tätigkeit.
Die Schloßvorstädter z. B. verdanken ihre Spezialisierung im intensiven Gemüse- und Gartenbau nicht zuletzt der Tatsache, daß sie über Jahrhunderte auf der „Speisebreite“ der Wittenberger Universität arbeiten mußten und selbst nur sehr bescheidene Flächen für den Eigenbedarf bearbeiten durften, was zu einer hohen Intensität im Gartenbau führte.
Früher erwarb sich der weitaus größere Teil unserer Bürger außerhalb von Lehrverhältnissen berufliche Fertigkeiten in Tätigkeiten, wie sie sich jeweils aus den Besitzverhältnissen
im Territorium ergeben.

aus: Wittenberger Bürgergeschichten

Dr. Wolfgang Senst †